Nach der Ruhe vor dem Sturm

Nicht wenige Zuschauer staunten, als letztens bei Sandra Maischberger Robert Habeck den Kampf gegen den Klimawandel für gescheitert erklärte. „Im Gegenteil, es wird krasser werden“, sagte er. Die einzige Hoffnung sei, die Erderwärmung so verlangsamen zu können, „dass wir uns als Menschen anpassen können.“

Erstaunlich dabei war nicht die Botschaft an sich, sondern dass ein Politiker sie auszusprechen wagte (dafür verspricht seine Partei auf albernen Wahlkampfplakaten „Wirtschaft und Klima ohne Krise“!)

Die Dinge verändern sich schnell. Vor knapp zwei Jahren löste der Schriftsteller Jonathan Franzen eine weltweite Empörungswelle aus mit seinem Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ Auch er erklärte den Kampf gegen den Klimawandel für verloren.

Anstatt uns Gutenachtgeschichten zu erzählen, meinte er, sollten wir „akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird“ und neu darüber nachdenken, „was es heißt, Hoffnung zu haben“. Franzens Essay war keineswegs defätistisch, nur forderte er ein Ende der zwangsoptimistischen Heuchelei.

Die Bücher der Kollapsologen sind in Frankreich Bestseller

Eigentlich hatte Greta Thunberg mit ihrem „I want you to panic!“ nichts anderes im Sinn, wobei in ihrem Fall die Botschaft mit scheinheiligen Umarmungen abgewürgt wurde.

Es ist nicht sehr lange her, als auf einem Podium, wo ich mitdiskutierte, ein prominentes Mitglied der Grünen feierlich erklärte, uns blieben nur noch zehn Jahre, um die „Klimakurve“ hinzubekommen. Ganz wütend wurde er, als ich ihn fragte, wie die Menschen seiner Meinung nach reagieren würden, wenn nach dieser Frist (wie anzunehmen war) sich nichts Wesentliches getan hätte?

Plötzlich war ich der Hoffnungszerstörer und objektive Handlanger der fossilen Lobbys. Doch eine Pandemie, etliche Waldbrände, Hitzewellen, Dürren, Hochwasser und sonstige Extremereignisse später lässt sich nur schwer daran zweifeln: Keine Katastrophe steht bevor. Wir stecken bereits mittendrin.

Derweil machen in Frankreich „Kollapsologen“ die Runde. Ihre Bücher sind Verkaufsschlager. Sie reden nicht nur von Klimawandel. Auch Artensterben, Ressourcenknappheit oder eben Pandemien werden als unheilvolle Resultate menschlicher Aktivität beschrieben, welche verschiedene Ursachen haben mögen, doch untereinander interagieren und durch falsche oder unterlassene Reaktionen verstärkt werden.

Nach kollapsologischer Darstellung schlägt dieses Problembündel wie eine Abrissbirne auf die industrielle Zivilisation, bis an einem bestimmten Punkt Infrastrukturen, Versorgungsketten, Gesundheits- und Versicherungssysteme kollabieren werden. Aufgrund dieser beinahe frohlockenden Zuversicht für das Unheil haben die Prognostiker des Zusammenbruchs viel Kritik geerntet. Ihnen wird vorgeworfen, aus einem vielseitigen Prozess mit unvergleichbaren Faktoren ein singulares Ereignis zu machen.

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Schließlich wolle uns die Kollapsologie auf die Zeit danach vorbereiten, sozusagen die psychosoziale Entsprechung jener „Prepper“, die in Erwartung des Untergangs Konserven und Klopapier horten. Immerhin ist der Kontroverse zu verdanken, dass der Ernst der Lage nicht mehr verniedlicht wird. Nicht die von Kollapsologen gesammelten Fakten und Modelle werden angefochten, sie sind aus solider Forschung entnommen.

Kritisiert wird der Erzählrahmen, in dem tatsächliche Möglichkeiten in so viele Gewissheiten verwandelt werden.

Kürzlich musste sich der Philosoph Jean-Pierre Dupuy gegen seine Vereinnahmung wehren. Vor zwanzig Jahren hatte er für „aufgeklärten Katastrophismus“ geworben, ein Gedankenexperiment, in dem die endgültige Unbewohnbarkeit der Welt als notwendig und zugleich abwendbar betrachtet wird.

Ihm ging es darum, Worst-Case-Szenarien im Auge zu behalten, um dagegen handlungsfähig zu bleiben. Nun berufen sich Menschen auf ihn, die den zivilisatorischen Zusammenbruch für sicher halten.

Löst die Verkehrswende die Klimakrise?

Gerade durch diese Gewissheit, mahnt Dupuy, wirken Kollapsologen am Eintritt des Unheils mit. Fatalismus ist der Zwillingsbruder der Verniedlichung.

Was Deutschland angeht, liegt allerdings die Gefahr eher auf der verniedlichenden Seite. Bezeichnend ist, dass auf dem sonst so frankophilen Büchermarkt kein einziger der Kollapsologie-Bestseller vorliegt. Offenbar dominiert die Befürchtung, in die Endzeitstimmung der frühen 1980er Jahre zurückzufallen.

Vor lauter Erinnerung an die damalige Waldsterben-Hysterie sieht man nicht, dass heute der Wald tatsächlich stirbt.

Eine immense, vielfältige Gefahr wird zur „Klimakrise“ verkleinert, welche mit der „Verkehrswende“ schmerzlos gelöst werden soll. Dank des Umstiegs auf Elektro bleibt Deutschland führende Autonation und rettet den Planeten obendrein.

Für unaufgeregten Realismus wird eine Politik gehalten, die die Realität des Desasters herunterspielt. Währenddessen blühen Kunst, Poesie und Philosophie des „Anthropozän“, als ob das angebrochene Zeitalter der Irreversibilität geologische Beständigkeit hätte.

So wird das Entsetzliche ästhetisiert und anästhesiert. Angesichts dessen ist es geboten, etwas Unruhe in die öffentliche Debatte zu bringen. „Nur wer die Gefahr sieht und keinen Augenblick vergisst“, meinte Karl Jaspers, „kann sich vernünftig verhalten und tun, was möglich ist, um sie zu beschwören.“

Guillaume Paoli ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Vom 23. bis 27. August leitet er im Literaturforum des Brecht-Haus eine Diskussionswoche zu „Kollapsologie, Kapitalozän und Katastrophismus“. Am Montag 23. spricht Jonathan Franzen. Programm unter https://lfbrecht.de