Leidenschaftliche Opernfans: Lob des Wagnerianers

Wenn der Vorhang gefallen ist, beginnt die Nachspielzeit: Das Schlussapplaus-Ritual im Bayreuther Festspielhaus ist eine Show für sich. Damen und Herren in großer Abendgarderobe rasten völlig aus, jubeln und schreiben, klatschen sich die Hände wund, trampeln wie verrückt auf dem Bretterboden des altehrwürdigen Hauses herum. Und wenn schließlich das Regieteam auf die Bühne kommt, erhebt sich ein Buh-Sturm, gegen den jeder vermeintliche „Hexenkessel“ im Fußballstadion ein laues Lüftchen ist.

Wagnerianer und Wagnerianerinnen sind einfach wunderbar. Weil sie Leidenschaft leben, mehr noch als die Fans der italienischen Opernkomponisten Verdi, Puccini und Co. Meister Richard ist für sie der Größte, ästhetische Richtschnur und künstlerischer Maßstab, ein Säulenheiliger der Tonkunst. Die Aufführungen seiner Werke zu besuchen, kommt für sie einem Gottesdienst gleich – nur, dass sie sich hinterher wie Hooligans benehmen.

Erst wird andächtig gelauscht, hingebungsvoll geschwelgt, kein Detail der musikalischen Seite entgeht ihnen, jede Nuance verdient höchste Aufmerksamkeit. Wagnerianerinnen und Wagnerianer sind nicht nur Liebhaber, sondern auch Kenner. Denn sie sind ungemein mobil, wollen nicht nur beim fränkischen Festival auf dem legendären „Grünen Hügel“ dabei sein, sondern reisen umher, nehmen weiteste Strecken in Kauf, um immer wieder aufs Neue jene zehn Wagner-Werke erleben zu können, die vom Komponisten selbst für Bayreuth zugelassen sind. Auch darin sind sie Ballsport-Verrückten durchaus ähnlich.

Enorm ist der Aufwand, der um Richards Willen betrieben wird. Gerne rücken die Jüngerinnen und Jünger, die zumeist schon älter sind, gleich gruppenweise an. Schließlich sind sie überall auf der Welt in Wagner-Verbänden organisiert. Dabei werden die Ultras fast immer enttäuscht: Wenn nicht von den Interpret:innen auf der Bühne und im Orchestergraben, dann garantiert von den Regisseur:innen, die sich weigern, die Libretti ordentlich zu lesen und dann adäquat szenisch umzusetzen. Und doch machen sie sich immer wieder auf den Weg. Das ist wahre Liebe.

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