Berlinale Wettbewerb : So viele deutsche Filme wie noch nie
Die gute Nachricht vielleicht vorweg: Fünf deutsche Filme haben es in den Wettbewerb der 73. Berlinale geschafft. Das stellt eine neue Bestleistung dar, erst recht da in diesem Jahr wieder nur insgesamt 18 Filme um den goldenen Bären konkurrieren.
Das sind allerdings auch nur drei Titel mehr als bei der umstrittenen Pandemie-Berlinale, die im Frühjahr 2021 lediglich für ein Fachpublikum stattfand. Dabei hatte man doch eigentlich gedacht, die Flaute der pandemischen Filmproduktion sei inzwischen überwunden.
Fünf deutsche Filme laufen im diesjährigen Wettbewerb
Während Cannes sein Programm weiter aufbläht und Hollywood im großen Stil (und mit gemischten Resultaten) nach Venedig zurückkehrt, pegelt Carlo Chatrian seinen Hauptwettbewerb also auf einen verschlankten Umfang ein.
Der Qualität war das bisher zuträglich, auch wenn das diesjährige Programm des Wettbewerbs und von Encounters, das der Künstlerische Leiter der Berlinale und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek am Montagmittag im Haus der Berliner Festspiele verkünden, einige Fragen aufwirft.
Das Kino ist mehr als die Realität. Wir brauchen auch ein Kino der Poesie.
Carlo Chatrian, Künstlerischer Leiter
An den deutschen Regisseurinnen und Regisseuren im Wettbewerb liegt das nicht. Christian Petzold, Angela Schanelec, Margarethe von Trotta mit ihrem lang erwarteten Ingeborg-Bachmann-Film, Emily Atef und nicht zuletzt Christoph Hochhäuslers Rückkehr auf den Regiestuhl (nach einem Intermezzo an der Dffb) versprechen einen abwechslungsreichen und qualitativ hochwertigen Wettbewerb, zumindest hinsichtlich der deutschen Beteiligung.
Sie alle gehören auf der Berlinale irgendwie zu den Stammgästen, auch wenn sich von Trotta zuletzt 1983 um einen goldenen Bären bewarb.
Das Feld dahinter allerdings bedarf schon eines ausgesprochen cinephilen Interesses, was den auf der Pressekonferenz geäußerten Vorwurf, die Berlinale versammele jedes Jahr dieselben Namen (das trifft vielmehr auf Cannes zu), einigermaßen ad absurdum führt.
Wenn überhaupt, könnte sich die diesjährige Berlinale als Festival der Entdeckungen erweisen. Bei der einzigen US-Produktion im Wettbewerb „Past Lives“ (die ihre umjubelte Weltpremiere gerade in Sundance erlebte, scheinbar eine neue Berlinale-Routine unter Chatrian) führt die Dramatikerin Celine Song Regie, in Encounters läuft der US-Indiefilm „The Adults“ vom hierzulange noch unbekannten Mumblecore-Star Dustin Guy Defa.
Hollywood macht sich rar
Womit die Hoffnungen aller Populisten auch schon wieder getrübt sind, die Berlinale könnte nach der Auszeichnung mit dem Ehrenbären für Steven Spielberg und der Jurypräsidentin Kristen Stewart wieder Kontakt in Richtung Hollywood knüpfen.
Große Namen bekommt Chatrian scheinbar nur noch unter größten Zugeständnissen nach Berlin – wie etwa Cate Blanchett, die für „Tár“ (in Berlin als „Special Gala“) bereits in Venedig einen Preis gewann. Am Montag erklärt er, dass er nun verstärkt mit deutschen Verleihern arbeitet, um dem Kino eine größtmögliche Plattform zu bieten.
Dieses Star-Problem kennt man bereits aus den letzten Kosslick-Jahren. Chatrian muss man zugestehen, dass er seine beiden Hauptprogramme inzwischen wirklich profiliert hat und er eben nicht aus Verzweiflung auf altbekannte Namen zurückgreift (außer in diesem Jahr vielleicht auf den Franzosen Philippe Garrel).
Dass es nun aber schon zum wiederholten Mal kein Film aus einem afrikanischen Land in die beiden Wettbewerbe geschafft hat sowie in diesem Jahr auch kein Film aus dem arabischen Sprachraum, ist dennoch ein Manko – dessen sich Chatrian allerdings wohl bewusst ist.
Für ein Kino der Poesie
„Das Kino ist mehr als die Realität“, sagte er am Montag vor der Bekanntgabe der Wettbewerbstitel bezugnehmend auf die Themen, die das Kino momentan umkreisen. „Wir brauchen wieder ein Kino der Poesie.“ Um den Realitätsgehalt der Berlinale muss er sich nicht sorgen, die Krisen und Kriege sind allgegenwärtig. Der Ukrainekrieg jährt sich auf der Zielgraden der Berlinale, einen Tag vor der Preisverleihung, zum ersten Mal.
Chatrians größter Coup ist in diesem Zusammenhang zweifellos der Dokumentarfilm „Superpower“, an dem Sean Penn noch vor Kriegsausbruch in den besetzten Ostgebieten der Ukraine arbeitete und der durch den Einmarsch der russischen Armee dann eine völlig neue Wendung nahm.
In Berlin feiert „Superpower“, mit Wolodymyr Selenskyj in einer „Hauptrolle“, seine Weltpremiere. Chatrian und Rissenbeek kündigen noch diverse Veranstaltungen zu den Schwerpunkten Iran und Ukraine an. Selbst der Berlinale-Pin trägt in diesem Jahr die Farben Blau und Gelb.
Vielleicht tut der Berlinale vor diesem Hintergrund ein bisschen Poesie wirklich ganz gut. Was die Realitäten des Programms angeht, erinnert die Berlinale in diesem Jahr mehr denn je an eine Wundertüte. Man darf hoffen, dass sie nicht mit Ernüchterung endet.
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