Leanne Shaptons und Niklas Maaks Buch „Eine Frau und ein Mann“: Was Autos und das Kino verbindet
Man könnte fast noch zum Auto-Fan werden, so kurz vor dem Ende des Karbonzeitalters, offenbar handelt es sich um ein geradezu magisches Objekt. In der Darstellung, die Niklas Maak und Leanne Shapton vom Autofahren liefern, wird es zu einem vor Imaginationen leuchtenden Raum. Das liegt keineswegs nur daran, dass die beiden das Automobil mit dem Kino kurzschließen, eine äußerst tragfähige, aber nicht unbedingt originelle Idee. Es gründet auf einer künstlerischen Differenz, die unausgesprochen bleibt.
Da ist Niklas Maak, Redakteur der „FAZ“, Architekturkritiker und preisgekrönter Essayist, der seine Gedanken so elegant in ein erzählendes Parlando überführt, dass man tatsächlich glauben möchte, die Welt sei ganz genau so, wie er sie beschreibt. Und da ist Leanne Shapton, in New York lebende Kanadierin, Schriftstellerin, Künstlerin, Verlegerin, ehemalige Olympia-Schwimmerin, die dem staunenden Freund tatsächlich einmal mitten in der Nacht auf dem Konferenztisch eines Büros vorführt, wie man rückenschwimmt.
Sie hat nicht nur übers Schwimmen geschrieben („Bahnen ziehen“), sie hat nicht nur mit Sheila Heti und Heidi Julavits sowie mit mehreren hundert Frauen, die bereit waren, über ihren Umgang mit Kleidung zu erzählen, ein kluges, lustiges, erhellendes Buch über „Frauen und Kleider“ entworfen. Sie hat auch ein absolut zauberhaftes Buch über Geister geschrieben und illustriert – eigentlich müsste man sagen: gebaut. Es heißt „Gästebuch“, eine Art Traumfänger, mit dem sich in Zeiten des Verlusts Stimmungen des Abschieds und des Übergangs einfangen lassen. Zusammen haben Maak und Shapton bereits „Durch Manhattan“ verfasst.
Die Idee stammt von ihr. Sie fuhren einmal nach einer Lesereise gemeinsam von Berlin nach München, so erzählt es Niklas Maak. Dann trafen sie sich wieder, in einem heißen Sommer in New York sorgte ein Kinobesuch für Abkühlung. So verknüpften sich die beiden Tätigkeiten, bei denen man nebeneinandersitzt, um auf eine Leinwand oder in die Welt zu schauen. Wie wäre es, die Strecken abzufahren, die berühmte Paare der Filmgeschichte nahmen? Was ist heute dort zu sehen, wie haben sich die Landschaften verändert?
Als Autos intime Räume waren
Und was sagt die Konstellation von Frau und Mann über Rollenbilder, Ideale, Wunschprojektionen? „Un homme et une femme“ lautet der Titel eines berühmten Films von Claude Lelouch aus dem Jahr 1966, in dem Jean-Louis Trintignant und Anouk Aimée als zufällig zusammengewürfeltes Paar von Deauville nach Paris fahren. Heute muss man den Titel umdrehen. „Eine Frau und ein Mann“ heißt das Buch.
Mit Woody Allen und Diane Keaton geht es nach Manhattan, der einzige Film übrigens, in dem der Mann als Beifahrer fungiert, dennoch ist es seine Perspektive, die am Ende zählt. In Deutschland ist der Film von 1977 als „Der Stadtneurotiker“ bekannt. Im Original hieß er „Annie Hall“, nach der Frau am Steuer, die waghalsig mit ihrem Käfer durch Manhattan rast. „Do you remember when you started to call me Annie?”, lautet eine der Dialogzeilen, die jedem der fünf Kapitel vorangestellt sind und einen Eindruck von den Gesprächen zwischen Maak und Shapton geben. Er ist es, der fragt. Also gibt sie dem Mann am Steuer einen Frauennamen, kluge Idee.
Auf den Spuren Kubricks
Freudig lässt er seine Kenntnisse und Erkenntnisse einfließen. Auf einem Trip nach Montana auf den Spuren von Kubricks „The Shining“ erfahren wir Wissenswertes über den Konflikt zwischen Native Americans und Amish People. In einem schäbigen Hotel geht nachts geräuschvoll die kleine Spielzeug-U-Bahn an, die er unterwegs gekauft hat. Anlass genug, über die Art und Weise nachzudenken, wie Paare im öffentlichen Raum ihre Körper zueinander in Beziehung setzen. Überhaupt der Raum. Er ist der eigentliche Held der Geschichte.
Ob als Landschaft zwischen Rom und Neapel, die in Roberto Rossellinis „Viaggio in Italia“ 1954 noch bäuerlich geprägt war, oder als riesige Lagerhalle für den Online-Handel, der die damals entstehenden Supermärkte wieder verdrängt. In Shaptons Geburtsort Toronto, in dem David Cronenbergs „Crash“ von 1996 spielt, sind die zwölf- bis fünfzehnspurigen Freeways das größte und monströseste Bauwerk. Der Plan von Sidewalk Labs, zu Alphabet gehörend, dort eine Smart City zu bauen, wurde glücklicherweise nicht verwirklicht. Dass die Kameras neuester Autos mittlerweile die Insassen beobachten, ist für Maak „die perverse Endstufe einer Moderne, die alle Formen von Intensität und Nähe zugunsten von Komfort und Sicherheit abgeschafft hat.“
Das Buch zieht stilistisch viele Register. Der eigentliche Coup aber sind die Aquarelle, die Leanne Shapton während der Fahrt unablässig gemalt hat. Außenwelt und Innenwelt fließen zusammen (und manchmal zerfließt auch die Farbe auf der Rückbank). Es sind Stimmungsbilder eines imaginären Raums, wie ihn manche Autofahrten mit Filmen und Büchern teilten – als Autos noch intime Räume waren, Orte heimlicher Zärtlichkeiten und vertrauter Gespräche, mit denen man wie zufällig auch von hier nach dort kam.
Niklas Maaks intellektuell bewaffnete Melancholie und die radikale Offenheit von Shaptons Aquarellen machen aus „Eine Frau und ein Mann“ ein Glück verheißendes Vehikel. Es macht Vergnügen, damit durch die Welt zu kurven.