Kulturzerstörung in Odessa: Neokoloniale Unterwerfung

In der vergangenen Woche wurden von Russland an jedem einzelnen Tag gerade so legendär lebendige Städte wie Mykolaijv oder Odessa beschossen. Es gab viele Tote und Verwundete. Getroffen wurden aber auch Wohnhäuser, Wasserkraftanlage, die auf der Liste des Welterbes stehende Altstadt von Odessa, dort das Archäologische Museum, das Flottenmuseum oder das Literaturmuseum, ganz zu schweigen von den Getreidelagern, die vor der russischen Aggression einen wesentlichen Teil des Welthungerprogramms bewirtschafteten.

Nun trafen russische Raketen auch die Verklärung-Christi-Kathedrale. Sie ist ein Symbolbau in vieler Hinsicht: Errichtet seit 1795 unter Kaiserin Katharina der Großen und ihrem erzreaktionären Gouverneur Duc de Richelieu, galt sie als Hauptkirche von „Neu-Russland“. 1936 wurde der barocke Prachtbau auf Befehl Stalins geprengt, entstand aber seit 1999 wieder nach alten Plänen und Fotografien. Die Weihe vollzog 2010 ausgerechnet jener Moskauer Patriarch Kyrill, der seit 2014 ruchlos den Krieg Putins gegen die Ukraine verteidigt. Weswegen diese Kathedrale nun der unabhängigen Orthodoxen Kirche untersteht.

Die regionale Bildungs- und Kulturpolitik wird zerstört

Dass sie von der russischen Armee genau deswegen beschossen wurde, kann man getrost annehmen, so wie ukrainische Bildungs- und Kulturstätten schon seit 2014 systematisch beschädigt, geplündert oder zerstört werden. Alleine in dem nun schon 516 Tage dauernden Angriff wurden selbst nach der überaus skrupulösen Rechnung der Unesco 116 religiöse Stätten, 27 Museen, 95 Gebäude von herausragender historischer oder künstlerischer Bedeutung, 19 Denkmale, 12 Bibliotheken, ein Archiv getroffen.

Nicht erfasst in dieser Statistik sind die Institutionen, die schon seit 2014 im Donbas und auf der Krim unter der Herrschaft Russlands leiden, Dorfensembles, „normale“ Häuser oder die vielen zerstörten, für die regionale Bildungs- und Kulturpolitik zentralen Kulturpaläste- und institutionen.

Es geht in diesem Krieg vor allem um neokoloniale Unterwerfung: Die Ukraine, ihre kulturelle Vielfalt und Demokratie sollen, das gibt Putin offen zu, verschwinden. Und dazu ist offenbar aus seiner Sicht die Zerstörung der historischen Dokumente dieser Nation nötig. Eine Theorie, wir wollen es ganz klar sagen, der einst auch Adolf Hitler oder Stalin folgten, in Polen, der Ukraine, in ganz Mittel- und Osteuropa. Hitler und Stalin haben auch dieses Ziel nicht erreicht, so wie keines ihrer Ziele. Aber sie haben unendliches Leid und fürchterliche kollektive Traumata verursacht – so wie derzeit Wladimir Putin.

Nikolaus Bernau ist entsetzt von den Raketenangriffen der Russen auch auf kulturelle Einrichtungen in Odessa.