Kosmos der Kolonialgeschichte: Bénédicte Savoy bekommt den Berliner Wissenschaftspreis

Als der Name Humboldt in Berlin einer breiteren Öffentlichkeit noch weniger bekannt war, zeigte das Observatoire de Paris eine wegweisende Ausstellung. „Le frères Humboldt. L’Europe de l’Esprit“ lautete der Titel, kuratiert von Bénédicte Savoy und David Blankenstein.

Das war im Jahr 2014 – und das Humboldt Forum in der deutschen Hauptstadt noch eine Baustelle, auch was die innere Konstruktion und Konstitution betraf. 2019 richteten Savoy und Blankenstein im Deutschen Historischen Museum Berlin die Ausstellung „Wilhelm und Alexander von Humboldt“ ein. Sie präsentierten exemplarisch persönliche Geschichte, die zur Weltgeschichte wird.

Dabei trat der „europäische Geist“ und das Europa des Geistes in einer Art hervor, die zu Lebzeiten der Brüder Humboldt im 19. Jahrhundert außerordentlich war. Diese beiden preußischen Wissenschaftler dachten global und freiheitlich, in ihren Werken kündigt sich die Überwindung des Eurozentrismus an. Bénédicte Savoy, 1972 in Paris geboren, hat Großes beigetragen zum Verständnis der Humboldts hierzulande. Am Dienstag hat sie für ihr Werk nun den Berliner Wissenschaftspreis erhalten.

Alexander von Humboldt sah sich als halber Franzose und als Mittler zwischen den Nationen. Die Brüder verkörperten das gute, weltoffene Preußen: Und hier hört in der Regel die Beschäftigung mit den Humboldts auf. Bei Bénédicte Savoy beginnt nun erst die Arbeit. Die Kunsthistorikerin legt Fakten und Zusammenhänge frei, die das System der Sammlungen und Museen erschüttern. Aus dem Expertenbeirat für das Humboldt Forum trat sie 2017 noch vor der Eröffnung aus. Der Schloss-Bau erinnerte sie an Tschernobyl. Es sei ein Versuch, Kolonialgeschichte mit Beton zu versiegeln.

Dass sich seither etwas bewegt, dass die Rückgabe der sogenannten Benin-Bronzen beschlossene Sache ist, dass grundsätzlich die Frage nach der Herkunft der Objekte in unseren Museen in den Vordergrund rückt, ist auch ein Verdienst von Bénédicte Savoy. Sie verbindet akademische Bravour mit nachhaltigem Temperament. Es ist ein Vergnügen, ihr zuzuhören, ihre mitreißende Rede hat etwas Befreiendes.

Bénédicte Savoy engagiert sich für die Verlierer der Geschichte

Die Germanistin, die seit dreißig Jahren in Berlin lebt und an der Technischen Universität forscht und lehrt, hat über Napoleon und seine Kunstraubzüge promoviert. Damals wurde auch die Quadriga vom Brandenburger Tor verschleppt; an der Rückgabe war Alexander von Humboldt beteiligt. Bénédicte Savoy engagiert sich für die Verlierer der Geschichte. Davon ist die Kunst nicht zu trennen. In Kunstobjekten und Archiven steckt das Gedächtnis, das darauf wartet, aktiviert zu werden.

Im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron erarbeitete Bénédicte Savoy 2018 gemeinsam mit Felwine Sarr den „Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“, auf Deutsch unter dem Titel „Zurückgeben“ erschienen. Zu diesem Thema schrieb sie auch das Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst. Die Geschichte einer postkolonialen Niederlage“. Sie ist Ritterin der Ehrenlegion in Frankreich und wurde neben vielen anderen Ehrungen mit der Carl-Friedrich-Gauß-Medaille und dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

Ihre Antrittsvorlesung am Collège de France 2017 hielt Bénédicte Savoy über „Objekte des Begehrens und das Begehren von Objekten. Museumsgeschichte als Kulturgeschichte vom 18. bis 20. Jahrhunderts“. Ein unerschöpfliches Gebiet. Es umfasst Europa und die ganze Welt im kolonialen Kontext.

Museen gehen traditionell sehr diskret mit ihren Erwerbungsgeschichten um. Dabei haben sie nicht nur die Pflicht, über die Herkunft der Sammlungen aufzuklären. Sie gewinnen dadurch auch. Bénédicte Savoy zeigt immer wieder, „wie lehrreich und, ja, auch unterhaltsam oder bestürzend, es sein kann, diesen Geschichten en détail nachzugehen“, wie sie selber sagt. Mit ihrer Energie und Beharrlichkeit, die nur zu bewundern ist.