Klotz am Bein
Ruinen sind sichtbar gewordene Zeit. Stolze Bauten und Lieblingsorte zerfallen, Kostbarkeiten werden zu Schrott. Die Relikte der Vergangenheit entzünden die Fantasie. Gedächtniskirche, Anhalter Bahnhof: Berlin hat Ruinen als Wahrzeichen. Auch wenn die Stadt nicht mehr ruinös aussieht, hat der Zahn der Zeit Spuren hinterlassen. Unsere Sommerserie folgt ihnen.
Wer sagt denn, dass Beton nicht bröselt. Rostiger Stahl dehnt sich aus und sprengt den Beton auf, man kann es schon sehen, neben den Liefereingängen zum Mäusebunker. Hier und da lugt die Moniereisen-Bewehrung bereits hervor, offene Wunden am Bau. Wie Patina überzieht Flechtwerk die Fassade mit ihren stacheligen Fenstergauben und den langen blauen Belüftungsrohren, die wie Kanonen aussehen. Hier und da sprießt frisches Grün, in den Betonritzen nisten die Vögel. Auch in den Entlüftungsrohren oben auf dem Dach, Schiffsschornsteine, die in den Himmel ragen.
Trotzdem, ist der Mäusebunker überhaupt schon eine Ruine? Ortstermin in Lichterfelde mit zwei Experten, dem Architekten Gunnar Klack und dem Kunsthistoriker Felix Torkar, die 2020 die Initiative zur Rettung des ehemaligen FU-Tierversuchslabors mit gestartet hatten. Erfolgreich: Erst mal wird dieses irrwitzige Schlachtschiff, diese wie ein Ufo zwischen Teltowkanal und Hindenburgdamm aufgeschlagene Brutalismus-Ikone nun doch nicht abgerissen.
Zwar hatte die Charité als letzte Nutzerin der Forschungseinrichtung genau das vor. Die „Beseitigungsanzeige“ war längst genehmigt, vor einem Jahr verließ die letzte Maus den von Gerd und Magdalena Hänska entworfenen Bau. Hänska? Von ihm stammen auch die Wohnhäuser am Kreuzberger Böckler-Park.
Zuletzt waren die Mäuse in Steglitz nur noch für andere Labore gezüchtet worden. Die Tiere sollten in klinischer Umgebung keimfrei zur Welt kommen, vorher diente der geschlossene Be- und Entlüftungs-Kreislauf samt Filtertechnik der biologischen Sicherheit. Kein Keim, kein Virus durfte das Gebäude verlassen. Jetzt sind die Türen mit Faserplatten verrammelt, die Lüftungsanlage ist abgeschaltet. Der Mäusebunker ist dicht, jetzt erst recht, hermetisch abgeschlossen.
Gunnar Klack erklärt, dass der Klimawandel am Gebäude nagt. Der Beton ist nicht mehr basisch genug, der PH-Wert zu niedrig. Zum Baubeginn 1971 konnte keiner wissen, wie sauer der Regen 50 Jahre später sein würde. Der Bunker ist übersäuert, deshalb platzt der Beton auf. Klack klaubt eins der Stückchen vom Boden, als Souvenir, wer weiß.
Denn unter Denkmalschutz steht der Mäusebunker noch lange nicht, allen Rettungsaktionen zum Trotz. Anders als das ebenfalls abrissgefährdete Hygieneinstitut der Architekten Fehling + Gogel gleich gegenüber, das zwar auch zum Brutalismus zählt, mit seiner geschwungenen, organischen Bauweise (Stichwort Scharoun-Schule) aber als exemplarisches Gegenstück zum Mäusebunker gilt. Seit Januar ist es offiziell „denkmalwert“. Landeskonservator Christoph Rauhut nennt das Institut ein Gesamtkunstwerk von internationalem Rang.
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Und der ruinöse Mäusebunker? Zu gerne würde man hinter den massiven Betonwänden sein vertracktes Innenleben erkunden. Vertrackt, weil die Labor-Etagen extrem kleinteilig sind, noch dazu mit acht bis zwölf Lüftungsöffnungen pro Raum. Und die Technikgeschosse dazwischen (die mit den blauen Kanonenrohren) sind extrem niedrig, nur 2,10 Meter hoch. Düster ist es auf den knapp 30 000 Quadratmetern Nutzfläche auch: Die Techniktrakte sind komplett fensterlos, und die Fenstergauben der Labore sind ums Eck ausgerichtet, damit kein direktes Tageslicht eindringen kann.
Das Handy klingelt. Jochen Brinkmann, Chef der Bauverwaltung bei der Charité, ruft wie versprochen zurück. Nein, ohne Belüftung ist es zu gefährlich, das asbest- belastete Bauwerk zu betreten, die Schadstoffe treten wohl aus den Wänden aus. Aber keine Sorge, meint er, so schnell nimmt der Bunker keinen Schaden. Schimmeln wird so ohne Luft vorerst nichts, und das Dach ist garantiert dicht.
Der Mäusebunker ist ein Klotz am Bein der Charité
Was macht die Charité hier am Rande des Benjamin-Franklin-Campus mit so einem Koloss? Derzeit erarbeiten fünf Planerteams im wettbewerblichen Dialogverfahren Zukunftsoptionen für die gesamten Liegenschaften der Klinik in Steglitz. Grünes Licht für das Hygieneinstitut: Es kann umgenutzt werden, sagt Brinkmann, das neue Fraunhofer-Institut zieht ein. Aber keines der Teams hat eine Idee für den Hänska-Bau. Entkernen bis zum Skelett, dann vielleicht ein Club? In Lichterfelde? Die Randlage spricht dagegen, auch die massiven Geschossböden, die sich kaum entfernen lassen. Der Mäusebunker bleibt ein Klotz am Bein der Charité.
Nach dem Gespräch schaut man ernüchtert auf die ergrauten Betonwände, nimmt die Treppen zum Eingangssockel, der Kommandobrücke des Ungetüms, und blickt ratlos auf die Klingelschilder. Sekretariat, Technik, Pförtner, noch hat keiner sie abgeschraubt.
Kunsthistoriker Torkar ist trotzdem zuversichtlich, er bricht eine Lanze für die Riesen-Schildkröte. Ihre wehrhafte Anmutung sei ein Ausdruck des Schutzbedürfnisses im Kalten Krieg, als auch die Architektur aufrüstete. Nach dem Mauerbau lieferten sich Ost- und West-Berlin einen Wettstreit der Moderne, mit Stalinallee und Hansaviertel, Fernsehturm und ICC, spektakulären Wissenschaftsbauten und Solitären wie Scharouns Philharmonie oder van der Rohes Nationalgalerie.
Der Mäusebunker hat Kultstatus unter Brutalismus-Fans
Auch der Mäusebunker gehört dazu, übrigens mit BER-verdächtiger Bauverzögerung (geplant 1967, errichtet von 1971 bis 1978) und Kostenexplosion (133 statt veranschlagter 40 Millionen D-Mark). Was nicht zuletzt am sumpfigen Gelände lag.
Ehrlich ist der Mäusebunker auch, verdammt ehrlich: You get what you see. Das neue Charité-Tierlabor in Buch nimmt sich dagegen wie ein freundlicher Bürobau aus. Auch deshalb genießt der Mäusebunker Kultstatus bei den Brutalismus-Fans in aller Welt.
Aber sage noch mal einer, Spezialbauten ließen sich nicht umnutzen. Ausgerechnet im Silent Green, dem ehemaligen Krematorium im Wedding, lädt die Architekturzeitschrift „Arch+“ Ende Juni zum Mäusebunker-Abend. Der Independent- Regisseur Nathan Eddy hat einen Dokumentarfilm über das „Battleship Berlin“ gedreht. Dank seiner Kamera sind wir endlich drin im Bunker..
Von wegen Düsternis. Neonlicht reflektiert von den metallverkleideten Wänden. Weiße Kacheln, spiegelglatte zitronengelbe Böden, OP-Lampen, Bullaugen, sterile Seziertische, alles blendet und blinkt. Die Kamera kriecht auch durch die Zwischengeschosse mit den Maschinenräumen voller verwinkelter Rohre und Kabel, den Eingeweiden des Mäusebunkers. Eine gleißende Klinik des Grauens samt Techniklabyrinth, es ist, als hätte Hollywood den Futurismus erfunden.
Vor der Filmvorführung hatte auch der Architekt Arno Brandluber von der brutalen Ehrlichkeit geschwärmt, mit der das Gebäude unser aller Missverhältnis zur Umwelt zur Schau stellt, die Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen. Der Schriftsteller Cord Riechelmann, der als Biologiestudent einst selber dort Mäuse abholte – nur für Verhaltensexperimente! –, erinnert an das Leid der zigtausend Tiere dort, die Aura der Gewalt.
Bitte nicht die Geschichte dieses Orts der Verwertung tierischen Lebens ausblenden, findet auch die Historikerin und Urbanistin Dorothee Brantz, endlich mal eine Frau im Klub der Ruinenretter. Apropos Retter: Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Film von Nathan Eddy ein Gebäude vor dem Abriss bewahrt. Mit „Starship Chicago“ ist ihm das bei Helmut Jahns postmodernem Thompson-Center schon vor Jahren gelungen.
Keiner hier in der Runde ist ein radikaler Tierversuchsgegner. Hätten wir Covid-Impfstoffe ohne die mittlerweile meist minimalinvasiven Experimente? Trotzdem, einfach ist es nicht mit der Aura. „Sagen wir: Tierversuche, blöd gelaufen, hau weg die Kiste? Oder können wir den Ball aufnehmen?“, fragt Brandlhuber. Wie wäre es mit Kohabitation, mit neuer Belichtung, Belüftung und neuer Nutzung der Labor-Etagen, und die Techniktrakte bleiben der Flora und Fauna überlassen? Quasi Erhalt plus Ruine?
Ein Habitat für Mensch und Tier, vielleicht ist es eine unmögliche Zukunftsvision. Aber auch Berlins oberster Denkmalpfleger Rauhut hat eine Ideenwerkstatt initiiert. Eine Webseite soll als Diskursplattform dienen und Mitte August freigeschaltet werden, im September sind Veranstaltungen mit der Berlinischen Galerie geplant. Brandlhuber verweist auf andere auferstandene Berliner Ruinen und Fast-Ruinen, das Berghain im ehemaligen Heizkraftwerk, die Boros-Sammlung im Reichsbahnbunker, Johann Königs Galerie in der ebenfalls brutalistischen St.Agnes-Kirche in Kreuzberg.
Auch Moritz Bleibtreu drehte hier
König und Brandlhuber wollen den Mäusebunker unbedingt retten, dafür legen sie sich seit 2020 ins Zeug. Ihr Angebot: Sie kaufen den Bau vom Land Berlin, dem eigentlichen Besitzer der Liegenschaft, für exakt 2,87 Millionen Euro – das ist der Grundstückswert abzüglich der Kosten für die Schadstoffbeseitigung. Und vorausgesetzt, er genießt dann Denkmalschutz, entwickeln sie Nutzungsideen, in Workshops mit Studierenden, jungen Architekten, der Stadtgesellschaft. Ihr Optimismus steckt an.
Hygieneinstitut und Mäusebunker, sie gehören zusammen. Die sich so wunderbar ergänzenden Brutalismus-Solitäre sollten als Ensemble erhalten bleiben. Gunnar Klack hat über die Architekten des Hygieneinstituts promoviert; beim Ortsbesuch schlendern wir kurz hinüber, um Details der eleganten Fassadengestaltung zu bewundern, etwa die schmalen vertikalen Betonstreifen beim gerundeten Treppenhaus. Wer sagt denn, dass Beton sich nicht biegt.
Gerade verlässt eine mit Hackenporsche bewehrte Frau das Haus. Sie arbeitet beim Film, erzählt sie, und dass ein Teil der Büroflächen gern für Drehs genutzt wird, als Schauplätze für „Tatort“-Kommissariate oder Callcenter. Auch Moritz Bleibtreu war hier, mit der Thriller-Serie „Blackout“. Dürfte man in den Mäusebunker rein, würden dort jetzt garantiert Science-Fiction-Filme entstehen. Viren-Thriller statt Verfall, Fiktion rettet Realität. Wie sagt Landeskonservator Christoph Rauhut? Denkmalschutz ist eine Zukunftsdisziplin.