Käthe Kruses Retrospektive in der Berlinischen Galerie: Sieht doch super aus
Das muss man erst einmal fertigbringen: eine ganze Museumswand, 36 Meter lang, mit verschiedenen Tapetenrollen zu bekleben in Rot, Blau, Beige, blumig gemustert und gestreift – eine schauderhafter als die andere, wäre damit ein ganzer Raum tapeziert.
„Sieht doch super aus“, sagt Käthe Kruse selbst überrascht vom Entree ihrer Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Tapeten wurden auch damals bei Konzerten der „Tödlichen Doris“ auf der Bühne wild ausgerollt oder abfilmt als Hintergrund benutzt. Nur teuer durften sie nicht sein, verwendet wurden die billigeren Restposten. Im Museum verwandeln sie sich nun in Kunst.
„Jetzt ist alles gut“, so lautet der Titel von Käthe Kruses Retrospektive, ein Parcours durch über vierzig Jahre künstlerisches Schaffen, das seinen Anfang fand mit der legendären Band „Die tödliche Doris“, die Werner Müller und Nikolaus Utermöhlen 1980 gründeten. Zwei Jahre später stieß Käthe Kruse hinzu, nachdem die beiden Kunststudenten von ihrem Auftritt im SO36 als Feuerschluckerin im Leder-Minirock mit schwarzen Flügeln stark beeindruckt waren.

© Sibylle Fendt / Ostkreuz
So jemand fehlte ihnen noch in ihrer Band. Die aus einer westfälischen Kleinstadt nach Berlin entflohene 24-Jährige hatte im Jahr zuvor im legendären Kreuzberger Besetzerhaus Manteuffelstraße 41/42 ein neues Zuhause gefunden und übernahm fortan das Schlagzeug. „Ich konnte den Takt halten“, lautete ihre Erklärung dafür. Strukturiert war sie immer schon; auch in ihrer WG machte sie die Steuererklärungen.
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Choreografiertes Durcheinander
Die junge Frau, deren aufgetürmte Dreadlocks später zum Erkennungszeichen wurden und auch auf Nan Goldins Berlin-Bildern immer wieder auftauchen, besaß verborgene Talente, das erkannten Müller und Utermöhlen sofort. Zwei höchst konträre Prinzipien befeuerten sich da gegenseitig: Systematik und Anarchie, Ordnung und kreatives Chaos.
In den dokumentierten Auftritten der „Tödlichen Doris“, die gleich im ersten Ausstellungsraum an die Wand projiziert zu sehen sind, teilt sich diese Lust am choreografierten Durcheinander sofort mit.
So lesen die Drei in einem Film auf einer Wiese sitzend todernst nacheinander Nonsens-Wörter vor. Die Band gehörte zu den bekanntesten Protagonisten der West-Berliner Szene der „Genialen Dilletanten“, die Punk und Performance mixten.
Der stimulierende Widerspruch blieb Bestandteil von Käthe Kruses Schaffen, auch nach dem Auseinanderbrechen der „Tödlichen Doris“ 1987. Dieses merkwürdige Aufeinanderprallen zeigt sich bereits in ihrer ersten künstlerischen Arbeit.

© © Käthe Kruse, VG Bild-Kunst, 2025; Foto: Harry Schnitger
In „Der geregelte Zustand“ von 1986 ordnete sie von ihren beiden Bandkollegen gefundene Automatenfotos in ein komplexes, undurchschaubares System. Die Künstlerin liebt Regelwerke, deren Regeln allerdings irrelevant sind.
So mischte Käthe Kruse aus zwei höchst unterschiedlichen Farbordnungen der Astronomie ihr eigenes System, nach dem in der Ausstellung fein säuberlich die hintere Wand der ersten Galerie in Längsstreifen gestrichen ist. Ob sich Konzeptkunst oder Jux dahinter verbirgt, bleibt offen.
Zu den Heldinnen der Künstlerin gehören Hanne Darboven und Louise Bourgeois. Die eine schrieb in sklavischer Arbeit Hunderte Hefte, Tausende Papierbögen mit ihrer klaren Handschrift voll, die andere beförderte mit dramatischen Skulpturen das Explosive in den geordneten bürgerlichen Zuständen ans Licht.
In die Brüche ihres eigenen Lebens gibt Käthe Kruse Einblick mit einem Werk, das aus der Reihe zu tanzen scheint, obwohl es den Titel „Zucht und Ordnung“ trägt. Das Ready-made entstand als Beitrag zur Ausstellung „Pferdemädchen“ 2022 in der Galerie Zwinger. Die Künstlerin hängte dafür einfach zwei Ledergürtel, drei Rohrstöcke und zwei Reitgerten hoch oben nebeneinander auf.
„Die Gürtel und Rohrstöcke benutzte mein Vater“, sagt sie im Vorübergehen. Im Katalog verrät die heute 66-Jährige darüber mehr, indem sie auf die Frage antwortet, warum ihr Werk so stark von Systematiken geprägt sei. Das habe mit ihrer Herkunft zu tun: „Später habe ich gelernt, dass Kinder von Alkoholikern eine streng strukturierte Umgebung brauchen, damit sie sich sicher fühlen.“ Als Künstlerin schöpft sie daraus.
Gegenüber steht das größte Werk der Ausstellung: sämtliche Instrumente der „Tödlichen Doris“ in Leder eingefasst. Das „Einledern“, wie Käthe Kruse es nennt, begann 2013 mit dem eigenen Schlagzeug. Damals setzte die Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit als Bandmitglied ein, die ihr den Weg in die Kunst ebnete. Drei Jahre nach Auflösung der „Tödlichen Doris“ begann sie an der Hochschule der Künste zu studieren.

© Käthe Kruse, In Leder, 2013, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Jens Ziehe
Mit ihrer Ausstellung in der Berlinischen Galerie scheint die Auseinandersetzung zum vorläufigen Abschluss gekommen zu sein. Der letzte Raum greift den Ausstellungstitel „Jetzt ist alles gut“ wieder auf. Ursprünglich lautete so die Antwort auf eine Frage, die – wenn auch ohne Fragezeichen – auf dem Cover des ersten Albums der „Tödlichen Doris“ von 1985 stand: „Wie geht es dir jetzt“. Das Album mit der Antwort kam ein Jahr später heraus.
Eigentlich hatte sich die Band als Clou überlegt, die eine Platte im Westen bei Polydor, die andere beim DDR-Label Amiga zu publizieren. Gleichzeitig abgespielt würde sich daraus der Sound einer dritten Platte ergeben, der auf der Mauer zu hören wäre. Dazu kam es zwar nicht mehr, die Labels weigerten sich, aber die positive Aussage auf dem zweiten Cover blieb bestehen – selbst nach Auflösung der Band und zahllosen weiteren künstlerischen Transformationen.
Zu den schönsten gehören die drei Lampen, die zu guter Letzt leuchtend von der Decke hängen. Sie sind bespannt mit braunem Glitzerstoff, aus dem ursprünglich Bühnenkostüme der „Tödlichen Doris“ bestanden.