Jonas Hofmann ist der Gewinner unter den Unentschiedenen
Jonas Hofmann blieb einfach sitzen, als die Dinge um ihn herum in Bewegung gerieten. Er hockte auf der Ersatzbank, sein Blick ging ins Leere. Der Nationalspieler versuchte gar nicht erst, einen falschen Eindruck zu erwecken. Seine Laune war mies, und das konnten nach dem 1:1 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Ungarn ruhig alle sehen.
Hofmann fühlte sich schuldig. „Da stelle ich mich auch gerne in den Vordergrund und sage: Sorry“, erklärte er nach dem Unentschieden am vergangenen Samstag in Budapest. Hofmann hatte sein Team im dritten Spiel der Nations League – mutmaßlich – um den ersten Sieg gebracht.
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Gut 20 Minuten vor dem Ende lief er unbedrängt auf Peter Gulacsi zu. Hofmann hätte den Ball vermutlich ohne größere Mühe an Ungarns Torhüter vorbei einfach ins Tor schießen können; stattdessen entschied er sich für einen Querpass auf Timo Werner, der allerdings beim ungarischen Innenverteidiger Willi Orban landete.
„Das nehme ich auf meine Kappe“, sagte Hofmann später, noch immer im Zustand glaubwürdiger Zerknirschung. „Da müssen wir nicht drüber reden: Das muss ein Tor sein.“ Was ihn in der entsprechenden Situation dazu gebracht hatte, die falsche von zwei möglichen Entscheidungen zu treffen, das war ihm selbst schleierhaft. „Das Komische ist: Ich habe den Gegner links von mir gesehen und spiele den Ball trotzdem. Da haben wahrscheinlich irgendwelche Synapsen nicht richtig gezündet.“
Doch so, wie Hofmann den Sieg auf dem Gewissen hatte, so konnte er auch für sich in Anspruch nehmen, seine Mannschaft vor der ersten Niederlage unter Bundestrainer Hansi Flick bewahrt zu haben. In der Anfangsphase war dem Offensivspieler von Borussia Mönchengladbach der Ausgleich zum 1:1 gelungen. Der Treffer, inklusive seiner Entstehung, war ein seltener Lichtblick im insgesamt düsteren Auftritt der Deutschen in Budapest.
Ein Upgrade durch den Bundestrainer
Träge, uninspiriert und müde – so kam die Nationalmannschaft am Ende einer langen Saison daher. Und wenn mal etwas von dem durchaus vorhandenen Potenzial aufblitzte, dann hatte meistens Jonas Hofmann seine Füße im Spiel. „Er hat für mich ein gutes Spiel gemacht“, sagte Bundestrainer Flick. „Er ist oftmals hinter die Abwehrkette gekommen, hat alles versucht und zurecht auch das Tor gemacht.“
Drei Tore haben die Deutschen in nun drei Nations-League-Spielen erzielt, an allen drei war Hofmann beteiligt. Beim 1:1 in Italien bereitete er den Ausgleich über den Umweg von Timo Werners Oberarm vor, beim 1:1 gegen England erzielte er die Führung, und beim 1:1 in Budapest gelang ihm unmittelbar nach Ungarns 1:0 mit seinem vierten Tor im 13. Länderspiel der Ausgleich.
Hofmann, 29, ist bei der Nationalmannschaft der Gewinner unter lauter Unentschiedenen – was so nicht unbedingt zu erwarten war. Erst im Oktober 2020, im fortgeschrittenen Alter von 28 Jahren, hat der Gladbacher sein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert. Und obwohl er im Verein schon seit Jahren mit starken Leistungen überzeugt, war er von Flicks Vorgänger Joachim Löw lange ignoriert worden.
Unter Flick hingegen ist Hofmann in zehn der zwölf Spiele zum Einsatz gekommen, davon sieben Mal in der Startelf. Und in den beiden jüngsten Begegnungen gegen England und Ungarn erlebte er sogar noch ein Upgrade durch den Bundestrainer.
Nachdem Hofmann zuletzt vor allem als rechter Außenverteidiger ausgeholfen hatte, rückte er nun wieder ins offensive Mittelfeld vor. Obwohl die Position in der letzten Reihe für ihn neu ist, schien sie ihm zumindest in der Nationalmannschaft eine bessere Perspektive auf regelmäßige Einsätze zu eröffnen. Die Konkurrenzsituation in der Außenverteidigung ist deutlich entspannter als im offensiven Mittelfeld. Doch auch da hat sich Hofmann nun behaupten können.
Schon Löw hat den Gladbacher bei der Europameisterschaft vor einem Jahr als potenziellen Rechtsverteidiger gesehen. Der Praxistest scheiterte vor allem daran, dass sich Hofmann in der Vorbereitung verletzt hat. So lernte er die ungewohnte Rolle erst unter Flick kennen. „Mir gefällt’s nach wie vor. Ich fuchs mich da mehr und mehr rein“, hat er zu Beginn der Vorbereitung auf die Nations-League-Spiele gesagt.
Ein gutes Gespür für den Raum
Dass Hofmann auch weiter vorne seinen Wert hat, hat er nun in Ungarn und gegen England bewiesen. Er besitzt ein gutes Gespür für den Raum, ist durch kluge Läufe in die Tiefe immer wieder anspielbar. Ein Tor, wie es ihm gegen Ungarn gelungen ist, nach einem langen Pass hinter die Kette, hat er schon häufiger erzielt. „Hoffi denkt sehr vertikal“, hat sein früherer Vereinstrainer Marco Rose einmal über ihn gesagt.
Ähnlich wie aktuell in der Nationalmannschaft ist es in der vergangenen Saison für Hofmann auch im Verein gelaufen. Er stach aus einem Team heraus, das nur mäßig performt hat. Mit zwölf Treffern war Hofmann der beste Torschütze seiner Mannschaft. „Es ist sicherlich ein Vorteil, dass es für mich persönlich gut im Verein gelaufen ist“, sagt er. „Dadurch konnte ich mit einem gewissen Selbstbewusstsein und Selbstverständnis zur Nationalmannschaft reisen.“
An diesem Dienstag nun kehrt er mit frischem Selbstbewusstsein an seinen eigentlichen Arbeitsplatz zurück. Das letzte Spiel der Saison, die Nations-League-Begegnung gegen Italien, findet im Mönchengladbacher Borussia-Park statt (20.45 Uhr/ZDF). „Ich freue mich natürlich riesig“, sagt Hofmann.
Dabei kann er sich nicht einmal sicher sein kann, ob er überhaupt spielt. Wenn Hansi Flick die Belastung einigermaßen verteilen will, müsste der Gladbacher (erst einmal) draußen bleiben. Andererseits hat der Bundestrainer schon erklärt, dass er gegen Italien unbedingt gewinnen will. In diesem Fall dürfte er auf Jonas Hofmann eigentlich nicht verzichten.