„Ich bin noch nicht ganz fertig mit meinem Fußballleben”
Sebastian Langkamp, 33, spielte von 2013 bis 2018 insgesamt 106 Mal für Hertha BSC. Anschließend wechselte der Abwehrspieler zu Werder Bremen. Seit Anfang des Jahres steht er bei Perth Glory in der ersten australischen Liga unter Vertrag.
Herr Langkamp, kann man in Australien eigentlich die Fußball-Bundesliga verfolgen?
Nein, gar nicht. Von der Bundesliga gibt es hier eine dreiminütige Zusammenfassung auf Youtube, die habe ich mir regelmäßig angeschaut. Aber seit unserer Abreise aus Deutschland habe ich kein einziges Spiel mehr gesehen. Trotzdem habe ich natürlich mitbekommen, was meine Ex-Vereine gemacht haben.
Und am letzten Spieltag, als es für Werder Bremen um den Klassenerhalt ging? Haben Sie da am Liveticker gesessen?
Ehrlich gesagt, bin ich an diesem Abend früh ins Bett gegangen, aber kurioserweise irgendwann aufgewacht, was sonst nie passiert. Das war direkt nach dem Abpfiff. Da habe ich mir natürlich die Ergebnisse angeschaut. Dass Werder absteigt, ist wirklich sehr, sehr traurig. Eine Bundesliga ohne Werder Bremen, das kann man sich noch gar nicht richtig vorstellen.
Vor einem Jahr waren Sie noch dabei, als sich Werder in der Relegation gerettet hat, Sie kennen den Verein sehr gut, viele Spieler, die handelnden Personen. Was bedeutet der Abstieg?
Das ist ein harter Einschlag, für die Region, für die Stadt, für die Leute. Werder ist was ganz Spezielles, eine Institution in der Bundesliga, das muss ich Ihnen ja nicht erzählen. Ich tu mich ein bisschen schwer, die Verantwortlichen zu verurteilen. Jeder in Bremen trägt diese grünweiße Brille.
Aber genau das wird Werder jetzt negativ ausgelegt. Dass viele Ehemalige Positionen im Verein bekleiden, dass sie sich alle untereinander schon lange kennen, das hat Werder doch über Jahrzehnte ausgemacht. Natürlich wurden Fehler gemacht, aber die Arbeit von ein, zwei Verantwortlichen nur an den vergangenen beiden Jahren festzumachen, das halte ich für ein bisschen bedenklich.
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Wie schätzen Sie Werders Chance auf den direkten Wiederaufstieg ein?
Ein Selbstläufer wird das ganz sicher nicht. Bei den Transfers hat man sich ein bisschen verkalkuliert, aber vor allem durch die Corona-Pandemie ist Werder in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Es wird schwer, eine schlagkräftige Truppe für die Zweite Liga aufzubauen. Trotzdem sollte man versuchen, im ersten Jahr wieder aufzusteigen. Dass es sonst immer schwieriger wird, sieht man ja an einem anderen norddeutschen Klub.
Sie sind jetzt weit weg von Bremen, nachdem Sie im Frühjahr zu Perth Glory nach Australien gewechselt sind. Laut Wikipedia ist Perth eine Stadt mit hoher Lebensqualität. Können Sie das bestätigen?
Vor meinem Wechsel habe ich mich ein bisschen schlau gemacht und auch mit dem einen oder anderen gesprochen. Trotzdem war ich noch einmal extrem positiv überrascht, weil Perth wirklich sehr, sehr lebenswert ist.
Warum genau?
Du hast hier eine sehr schöne Innenstadt mit sämtlichen Möglichkeiten. Die Restaurant- und Gastronomieszene ist sehr international und erinnert mich ein bisschen an Berlin. Du bist in zehn Minuten am Strand, hast diverse Weinanbaugebiete in der Nähe, außerdem gibt es entlang der Westküste einige Orte, die man gesehen haben sollte. Auch die Küstenstraßen sind superschön. Du hast hier also sämtliche Möglichkeiten. Und die Mentalität der Menschen ist super. Auch wenn man sich erst einmal daran gewöhnen musste.
Inwiefern?
Die Australier nennen sich selbst ein bisschen lazy, also faul. Bis mit unserer Wohnung, den Versicherungen, dem Auto alles geregelt war, hat es ein bisschen gedauert. Aber seitdem ist es super. Man adaptiert das auch ein bisschen, gerade was die Work-Life-Balance angeht. Und die Leute sind superfreundlich, sehr hilfsbereit, sehr kinderlieb. Ich weiß nicht, ob es das in Berlin auch gäbe: dass Bauarbeiter, die auf der Straße mit ihrem Schlagbohrhammer zugange sind, aufhören zu arbeiten, weil eine Familie mit Kinderwagen vorbeikommt.
Das wäre in Berlin wahrscheinlich nicht so.
Das wäre in Berlin auf jeden Fall nicht so (lacht). Da bekämst du wahrscheinlich sogar noch einen dummen Spruch, wenn du doof guckst. Aber hier ist das so. Du kommst hier auch sehr schnell in Gespräche, weil die Leute offenherzig sind. Wir haben uns superschnell eingelebt und fühlen uns sehr wohl. Was bei Wikipedia steht, kann ich also nur bestätigen.
Hatten Sie sich vorab mal bei Mathew Leckie erkundigt, Ihrem früheren Mitspieler bei Hertha BSC?
Ja, es war sogar Mathews Agent, der den Transfer am Ende eingefädelt hat. Wir waren immer in Kontakt, deshalb habe ich mich natürlich auch bei ihm schlau gemacht. Aber Mathew kommt aus Melbourne, Bundesstaat Victoria. Und den Menschen aus Victoria sagt man nach, dass sie sehr, sehr stolz sind auf ihre Stadt und ihre Region. Das ist bei anderen auch so und führt dazu, dass viele Australier gar nicht in andere Regionen reisen. Sie sind ja davon überzeugt, dass sie schon in der schönsten Stadt oder Region leben. Mathew selbst kannte Perth nicht, aber er hat sich bei Freunden erkundigt, die schon mal in Perth gewesen waren.
Wie gut kannten Sie Australien?
Gar nicht. Für uns war das ein bisschen eine Reise ins Ungewisse. Aber auch ein Grund, warum ich mich dafür entschieden habe. Und wir sind sehr happy mit dieser Entscheidung, auch für unseren Kleinen, der mittlerweile sieben Monate alt ist. Wir freuen uns total, dass er auch die Gestik und Mimik von anderen Leuten kennenlernt. Hier ist ja coronafreie Zone und dadurch alles maskenfrei. Was das Privatleben betrifft, hat sich die Entscheidung wirklich rentiert.
Im vergangenen Herbst haben Sie erzählt, dass Corona ein Grund gewesen sei, nicht ins Ausland zu wechseln. War Corona jetzt ein Grund, nach Australien zu gehen?
Letztlich war das sogar der ausschlaggebende Punkt für Australien. Wir wollten weg davon, dass Corona weiterhin unser Leben diktiert.
Was war zuerst da: der Wunsch, nach Australien zu gehen, oder die konkrete Anfrage eines Vereins?
Das eine bedingt das andere: Die internationalen Grenzen sind komplett dicht. Du kommst nur nach Australien, wenn du eine Arbeitsgenehmigung hast. Ich hatte Kontakt zu drei verschiedenen Vereinen. Letztlich habe ich mich für Perth entschieden, weil das für meine Familie und mich der beste Ort zur richtigen Zeit ist.
Sportlich läuft es in Perth allerdings noch nicht ganz so gut. Für Ihren neuen Klub haben Sie erst zwei Teilzeiteinsätze bestritten.
Über die volle Distanz wäre es körperlich gar nicht möglichgewesen. Man darf nicht vergessen, dass ich mein letztes Spiel am 7. Juli bestritten hatte, in der Relegation mit Werder Bremen. Die fußballfreie Zeit war schon extrem lang. Deshalb hatten wir uns darauf verständigt, dass ich hier erst einmal eine vierwöchige individuelle Vorbereitung mit einem Athletiktrainer absolviere. Da bin ich eigentlich ganz gut durchgekommen, habe mir dann aber gleich im ersten Teamtraining die Speiche gebrochen und bin damit genauso vier Wochen ausgefallen wie später noch einmal mit einem Faserriss im Adduktor.
Wann rechnen Sie damit, wieder spielen zu können?
Seit zwei Wochen bin ich zurück im Training. Aber die Saison endet bald, und ich stehe für die letzten Spiele nicht mehr im Kader. Stattdessen soll ich die Zeit nutzen, um mich für die Vorbereitung auf die nächste Saison vorzubereiten. Eine Vor-Vorbereitung sozusagen. Mein Körper braucht einfach noch, um sich den Gegebenheiten hier anzupassen. Aber ich bin mit dem Wissen hier hingekommen, dass das passieren kann. Jetzt muss ich abwarten, ob der Körper das noch mal mitmachen möchte oder ob ich sage: Okay, jetzt ist es gut gewesen. Darüber bin ich mir noch nicht ganz im Klaren.
Belastet Sie diese Frage? Oder sind Sie relativ entspannt?
Einerseits bin ich entspannt. Andererseits bin ich schon noch so ambitioniert, dass ich einen vernünftigen Abschluss meiner Fußballerkarriere haben möchte. Ich weiß, dass es genügend Spieler gibt, die wegen einer Verletzung aufhören mussten. Ich weiß auch, dass man irgendwann seinem Alter Tribut zollt. Aber ich bin ganz ehrlich: Ich hatte die Hoffnung, dass mein Körper durch das Leben hier, durch die Entspanntheit, ein bisschen weniger Stress hat. Leider ist es bisher ein bisschen anders gekommen.
Sie waren mehr als ein halbes Jahr ohne Verein. Wie sind Sie damit umgegangen?
Nach der nicht so optimalen Saison mit Werder habe ich mir schon bewusst meine Zeit genommen, auch um den Kopf ein bisschen auszuschalten. Die vergangene Saison war psychologisch nicht ohne, auch weil ich mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hatte, wenig Spiele gemacht habe und mir anschließend erst mal klar werden musste: Was will ich noch von den letzten zwei, drei Jahren meiner Karriere?
Im Herbst haben Sie sich eine Zeit lang bei der U 23 von Hertha BSC fitgehalten.
Ja, für diese Möglichkeit bin ich Hertha sehr dankbar. Es war coronabedingt alles nicht so leicht. Mit Blick auf die Wintertransferperiode habe ich mich dann auf ein gewisses Fitnessniveau gebracht. In Hamburg, wo wir damals noch gewohnt haben, kenne ich mittlerweile jede Laufstrecke. Es war sogar schon so, dass mich andere Läufer gegrüßt haben.
Ist Ihnen auch mal der Gedanke gekommen: Das war’s mit der Karriere?
Im November, Dezember habe ich mich tatsächlich intensiver mit meinem Karriereende beschäftigt, vor allem aus familiären Gründen. Wenn wir zu dem Schluss gekommen wären, dass der Umzug nicht das Richtige für unseren Kleinen ist, dann hätten wir das nicht gemacht.
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Hatten Sie sich eine Frist gesetzt?
Hätte der Wechsel nach Australien nicht stattgefunden, hätte ich meine Karriere Ende Dezember oder spätestens im Januar beendet. Denn ganz ehrlich: Wenn es im Winter nicht geklappt hätte, hätte es keinen Sinn mehr gehabt, noch bis zum Sommer zu warten. Die Chancen wären ja nicht besser geworden, gerade in der Corona-Pandemie, in der jeder Klub mit den Kosten zu kämpfen hat. Ich hatte schon damit gerechnet, dass sich der eine oder andere Zweitligist noch meldet. Das ist auch passiert. Aber wenn du als Erstligaspieler in die Zweite Liga wechselst, sind die Erwartungen an dich natürlich hoch. Ich habe mich gefragt: Werde ich diesen Erwartungen gerecht? Bin ich körperlich in der Lage, einem Zweitligisten zu helfen, der doch noch mal andere Ambitionen hat als ein australischer Erstligist?
Hatten Sie schon einen Plan für die Zeit nach dem Fußball?
Wir wären auf jeden Fall erst mal nach Berlin zurückgekommen. Berlin wird unsere nächste Station als Familie, das ist seit längerem so geplant. Eine ganz spezielle Idee für meine berufliche Orientierung habe ich bis dato nicht. Ich hätte vieles ausprobiert, hätte mir auf jeden Fall auch eine Auszeit genommen, um Zeit mit der Familie zu haben, ein bisschen die Gedanken schweifen zu lassen und um einfach ein bisschen runterzukommen. Diese Auszeit hatte ich jetzt ungewollt bis Februar. In dieser Zeit habe ich mir ganz bewusst so wenig Spiele wie möglich angesehen. Dadurch habe ich einerseits einen gewissen Abstand gewonnen. Andererseits habe ich das Gefühl entwickelt: Ich bin noch nicht ganz fertig mit meinem Fußballleben. Mich juckt’s einfach noch in den Füßen.