Er schneiderte Anzüge für ganz Hollywood
Er ließ sich gern in seiner Fabrik fotografieren. Lässig stand Nino Cerruti im Lager, seine exklusiven Stoffe um sich herum zu schweren Rollen übereinandergestapelt. Mit einem meist nur angedeuteten Lächeln, das früh ergraute, volle Haar zu einem Seitenscheitel frisiert, war er sich seiner Rolle als Industrieller, der die italienische Mode in die ganze Welt gebracht hatte, sehr bewusst. Fast immer trug er Anzug und Krawatte – erst später, als er sein Modeunternehmen verkauft hatte, wechselte er zum feinen Wollpullover mit Hemd und eingestecktem Schal.
Nino Cerruti strahlte diese italienische Grandezza aus – immer gepaart mit genug Pragmatismus, dass nie der Verdacht aufkam, man habe es hier mit etwas anderem als einem geschmackssicheren Geschäftsmann zu tun. Er steht exemplarisch für die italienische Mode, die erst nach dem zweiten Weltkrieg in Italien als Industrie entstand und schnell weltweit expandierte. Dafür waren vor allem die Amerikaner verantwortlich, die dem zerstörten Land mit dem Export von Strickwaren und später von seriell angefertigter Kleidung wieder auf die Beine halfen.
Dabei ging es zunächst ums Material, erst in den späten Fünfzigern entwickelte sich auch die Konfektion, die Mailand zur zweitwichtigsten Modemetropole nach Paris machte und zu einem Gegenmodell der alten Haute Couture. Das Material war auch Ausgangspunkt für die Familie Cerruti. 1882 gründete sie eine Stofffabrik im norditalienischen Biella, das später zum Zentrum der italienischen Wollindustrie wurde.
In den Achtzigern ging es vor allem um Wachstum
1950 brach Nino Cerruti sein Philosophie-Studium ab, um nach dem Tod seines Vaters die Fabrik zu übernehmen – da war er 20 Jahre alt. 1957 eröffnete er seine erste Boutique mit Herrenmode und nannte sie „Hitman“. Hier entwarf der vier Jahre jüngere Giorgio Armani von 1964 bis 1970 als Assistent von Nino Cerruti die Herrenkollektionen. 1967 entstand die spätere Kernmarke Cerruti 1882, die sich auf das Gründungsjahr der Stofffabrik bezieht und die es bis heute gibt, nur ein Jahr später brachte Cerruti auch Damenmode heraus.
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Spätestens Mitte der achtziger Jahre ging es in der italienischen Mode nur noch um Wachstum – auch bei Cerruti führte das zu schier unendlichen Verästelungen von immer neuen Unterlinien: Cerruti Brothers, Club, Sport, Arte entstanden. Der Anzug mit breiten Schultern und reichlich Stoff, der ohne versteifende Einlagen weich fiel, die Taille trotzdem betonte, blieb für Frauen und Männer gleichermaßen das Aushängeschild, das gern von Filmstars vorgeführt wurde.
Anfang der neunziger Jahre erreichte der Reigen seinen Höhepunkt: In Hollywood war nicht etwa Giorgio Armani der populärste Ausstatter, sondern Nino Cerruti.
Michael Douglas trug in „Wall Street“ natürlich Cerruti
Gerade in den USA war er mit seiner nie zu ausgefallenen, aber immer aus exklusiven Stoffen gefertigten Mode einfach massentauglicher: Julia Roberts und Richard Gere stattet er in „Pretty Woman“ aus, Denzel Washington in „Philadelphia“ und Michael Douglas in „Basic Instinct“. Auch als gieriger Banker in „Wall Street“ trug Douglas natürlich Nino Cerruti.
2000, da betrug sein Umsatz rund 100 Millionen Euro, verkaufte er 51 Prozent seines Modeunternehmens an eine italienische Investorengruppe. Die warf ihn wenig später raus und konzentrierte sich auf nur drei Linien. Cerruti blieb die Stofffabrik, für die er weiter Mode entwarf, und seine Möbelmarke. Anders als viele seiner Kollegen ließ er es sich nicht nehmen, weiter mit seiner Familie die Modenschauen von Cerruti in Paris zu besuchen. Dort saß er in der ersten Reihe, elegant in schwarzem Anzug mit dem angedeuteten Lächeln eines Patrons.
Am Sonnabend ist Nino Cerruti in seiner Heimatregion Piemont gestorben. Er wurde 91 Jahre alt.