Ein Muster an Verlässlichkeit
Wann hat das eigentlich angefangen, das Gerede von Deutschland als dem Land der Torhüter? War das 2006, als sich Oliver Kahn und Jens Lehmann in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden? Oder doch erst später, als Manuel Neuer und René Adler sich um die Rolle der Nummer eins duellierten und es vor Torhütertalenten scheinbar nur so wimmelte?
Wenn die Siebzigerjahre nicht eine so durch und durch unaufgeregte Dekade gewesen wären, dann hätte man wahrscheinlich schon damals vom Torhüterland Deutschland gesprochen. In den Siebzigern war jeder Stammkeeper in der Bundesliga gefühlt auch Nationaltorhüter.
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Sepp Maier, klar, dahinter Norbert Nigbur, Wolfgang Kleff, Bernd Franke, Rudi Kargus, Dieter Burdenski und gegen Ende des Jahrzehnts natürlich Toni Schumacher. Angesichts dieser Fülle an Qualität heißt es schon einiges, dass in jener Zeit auch ein Ausländer verlässlich zu den besten Torhütern der Fußball-Bundesliga gezählt wurde: der Schwede Ronnie Hellström.
1974, direkt nach der WM in der Bundesrepublik, war er zum 1. FC Kaiserslautern gewechselt. Der FCK hatte sich hartnäckig um den Torhüter von Hammarby IF bemüht, der schließlich schon vor der Weltmeisterschaft in einem Hotel in Stockholm den Vertrag bei den Lauterern unterschrieb. Ein Fehler, haben später viele gesagt. Viel zu früh habe Hellström dem Werben der Lauterer nachgegeben. Hätte er nur bis nach der WM gewartet, bei der er mit herausragenden Leistungen erst richtig auf sich aufmerksam gemacht hatte. Deutlich mehr hätte er für sich herausschlagen können.
Hellström selbst hat das nie so gesehen, weil er seine Zeit beim FCK als eine überaus glückliche empfunden hat. Einen Titel hat er in Kaiserslautern zwar nicht gewonnen – dafür eine zweite Heimat. Selbst viele Jahre nach der Rückkehr in seine schwedische Heimat hat Hellström immer noch „ein bisschen Heimweh“ nach der Pfalz verspürt.
Zehn Jahre, von 1974 bis 1984, blieb Hellström Kaiserslautern treu, 266 Bundesligaspiele hat er in dieser Zeit für den Klub bestritten. In einer Mannschaft, in der es nur so von Typen wimmelte, war er noch einmal ein besonderer Typ, eine echte Erscheinung – und das nicht nur wegen seines imposanten Backenbartes. „Bescheidenheit ist seine Lebenseinstellung, Fairplay seine Berufsauffassung und Zuverlässigkeit sein langjähriges Gütesiegel“, hat der Tagesspiegel Anfang der Achtziger über ihn geschrieben. Selbst in einer Zeit, in der Vereinswechsel die Ausnahme waren und nicht wie heute die Regel, stand Hellström für Verlässlichkeit.
Anfang der Siebziger hat er im Kinderfilm „Fimpen“ sich selbst gespielt, den Torhüter der schwedischen Nationalmannschaft. Legendär ist die Szene, in der Hellström dem sechsjährigen Hauptdarsteller eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest. „Die ganze Mannschaft las ihm vor, bei mir ist er eingeschlafen“, hat er später erzählt. „Ist das gut oder schlecht?“
Für die Deutschen war Hellström ein Schwede wie aus einem Astrid-Lindgren-Kinderbuch. Blond – natürlich –, freundlich, sympathisch, gewitzt. Nach seiner Karriere hat er mal erzählt, warum es ihm gelungen ist, immerhin zwölf Elfmeter zu halten. Aufs Glück allein wollte sich Hellström nicht verlassen, also dachte er sich einen Trick aus: Wenn der Schütze den Ball zurechtlegte, rief der Torhüter den Namen eines Mitspielers, suchte den Blickkontakt zu ihm und zeigte ihm eine Ecke an. Der Schütze, das wusste Hellström, würde das natürlich auch registrieren – und in die andere Ecke schießen.
Eigentlich hatte er solche Tricks gar nicht nötig. Hellströms Torwartspiel war über fast alle Zweifel erhaben. Vor allem für seine Reaktionen auf der Linie wurde er gefeiert, dank seiner überragenden Sprungkraft hielt er auch viele sogenannte unhaltbare Bälle. 77 Länderspiele hat Hellström zwischen 1968 (mit 19 Jahren) und 1980 bestritten, zweimal wurde er in seiner Heimat zum Fußballer des Jahres gewählt.
An drei WM-Endrunden nahm Hellström mit Schweden teil. Schon 1970 in Mexiko ging er, gerade 21 Jahre alt, als Nummer eins ins Turnier. Doch im ersten Gruppenspiel verschuldete er mit einem Patzer die 0:1-Niederlage gegen Italien. „Wir verloren das Spiel wegen zweier Fehler“, schrieb anschließend die Stockholmer Zeitung „Aftonbladet“: „Der eine war, dass Hellström das Tor zuließ, der andere die Aufstellung Hellströms.“ Schwedens Nationaltrainer verteidigte seinen Torhüter zunächst und setzte ihn dann doch auf die Bank.
So konnte Hellström erst bei der WM 1974 zeigen, wie gut er wirklich war. In der Vorrunde kassierte er kein einziges Gegentor, nicht einmal gegen die hochgelobten Holländer, die sonst in jedem ihrer sieben Spiele bei diesem Turnier getroffen haben.
Beim 1. FC Kaiserslautern war der Schwede anschließend über nahezu ein Jahrzehnt die unumstrittene Nummer eins. Nur in der Saison 1981/82 musste er sich etwas gedulden, nachdem er sich bei einem Testspiel in der Vorbereitung schwer an der Schulter verletzt hatte. Ein gutes Dreivierteljahr fiel er aus. Erst im März 1982 kehrte Hellström zwischen die Pfosten zurück, und das auch nur, weil sein Ersatzmann Armin Reichel erkrankt war. Vier Tage später spielte der 1. FC Kaiserslautern im Uefa-Pokal gegen Real Madrid und musste auf dem Betzenberg ein 1:3 aus dem Hinspiel aufholen. Lautern siegte 5:0, Ronnie Hellström hielt einen Elfmeter.
Am Wochenende ist Ronnie Hellström in seiner Heimat gestorben, zwei Wochen vor seinem 73. Geburtstag.