Drake fühlt sich zu sexy für die Welt
Adonis ist Einzelkind – soweit man weiß. Es könnte aber auch sein, dass der knapp Vierjährige noch bis zu elf Geschwister hat. Dieses Gedankenspiel legt sein Vater Aubrey Drake Graham nahe, dessen gerade erschienenes Album „Certified Lover Boy“ (Ovo/Universal) zwölf bunte Emojis von Schwangeren ziert.
Designt hat diese beknackte Potenzprahlerei der britische Künstler Damien Hirst – das macht es auch nicht besser.
Plattester Pennälerhumor
Einen Vorteil hat das Covermotiv allerdings: Es bereitet die Hörer*innen auf das inhaltliche Niveau des sechsten Studioalbums von Drake vor, der in 21 Tracks von seiner sexuellen Unwiderstehlichkeit erzählt, von seinem Ruhm, seinen Neidern und natürlich der eigenen Größe.
Ziemlich erwartbar, fast wie auf Autopilot klingt das – und weist immer wieder peinliche Ausreißer nach unten auf. Da ist etwa „Way 2 Sexy“, das auf dem 1991er-Hit „I’m Too Sexy“ des britischen Duos Right Said Fred basiert und vom „New Musical Express“ gerade als „einer der schlechtesten Songs des Jahres“ bezeichnet wurde.
In pickelpubertärer Weise listen Drake und Gastrapper Future darin die Dinge auf, für die sie sich zu sexy fühlen – letztlich die ganze Welt. Im dazugehörigen Video, bisher das einzige zum Album, sieht man Drake umgeben von hübschen Frauen im Fitnessstudio, als dicken alten Typen am Strand oder als Rambo- und Michael-Jackson-Imitator. Das soll witzig-überzeichnet sein, wirkt aber nur wie ein platter Pennälertraum.
Ebenfalls hohe Ausschläge auf der Fremdscham-Skala erzielt der Song „Girls Want Girls“, in dem der 34-jährige Kanadier die unfassbar behämmerte Zeile „Say that you’re a lesbian, girl me too“ singt und zusammen mit Gastrapper Lil Baby die pornoinduzierte Männerfantasie von der Lesbe zeichnet, die eigentlich nur auf einen Typen warten. Es ist schade um den Song, denn in dessen lakonisch gesungenem Refrain beweist Drake sein Gespür für feine Pop-Momente, das ihm vor über einer Dekade zum Durchbruch verholfen hat.
Auch auf dem neuen Album scheint es immer wieder auf, aber man braucht Geduld, um etwa bis zu Track 16 durchzuhalten: Das Afrobeat-inspirierte „Fountains“, mit dem Drake offenbar an seinen Überhit „One Dance“ anknüpfen möchte, wird von wenigen Klavierakkorden begleitet und lässt der nigerianischen Gastsängerin Tems viel Raum. Drake beschränkt sich mehr oder weniger auf die Bitte „Come in and stay here“. Das ergibt eine stimmige Mischung, ohne jedoch so zwingend zu sein wie das fünf Jahre alte Vorbild.
Auf „Fountains“ weicht Drake erholsamerweise einmal vom Trap-Sound ab, der den Rest des Albums prägt. Doch bald ist er wieder zurück bei den schnarrenden Hi-Hats, dicken Bassdrums und den verwaschenen Synthesizerflächen. Es gibt einige gefühlvolle R’n’B-Momente, wobei Drake in „Fucking Fans“ sogar einen selbstkritischen Ton anschlägt und seine Promiskuität bereut.
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Was sein Sohn Adonis, den er einige Male erwähnt, wohl einmal über all das denken wird? Wird er gegen die toxische Männlichkeit und die Nebenbei-Misogynie seines Vaters rebellieren? Das ergäbe vielleicht ein spannendes Rap-Album.
„Certified Lover Boy“ gehört nicht in diese Kategorie. Eine knappe Woche nach „Donda“ seines verhassten Kollegen Kanye West veröffentlicht, kann Drake keinen entscheidenden Gegenschlag setzen. Sein Werk wirkt weniger skizzenhaft, doch dem eigenen Superstaranspruch wird er damit kaum gerecht.
Wie bei Kanye West sind Track- und Gästeliste lang, aber es fehlen Hits, Ideen und Inspiration. Zwar hat Drake keinen Marilyn Manson dabei, doch taucht in den Composer-Credits des Songs „TSU“ der Name R. Kelly auf. Der Sänger steht derzeit bekanntermaßen wegen der sexuellen Ausbeutung Minderjähriger vor Gericht, die Vorwürfe gegen ihn sind grauenvoll. Drake scheint das nicht zu stören – Lust auf sein Album macht es nicht.