Donnerschläge
Seine Zeit ist im Kommen. Mieczyslaw Weinberg, 1919 in Warschau geboren, als Jude nach Minsk geflohen, erlebte das Glück, von Schostakowitsch nach Moskau geholt zu werden. Beide Komponisten sahen sich der stalinistischen Kulturpolitik ausgesetzt. Aber ihre Freundschaft, von der sie gegenseitig profitierten, hielt lebenslang. Weinberg starb 1996 in Moskau.
Freundschaft mit dem Startrompeter
Seine Renaissance beginnt mit der szenischen Weltpremiere der Oper „Die Passagierin“ in Bregenz 2010. Hakan Hardenberger setzt sich seit längerem für das Trompetenkonzert Weinbergs ein und bringt es nun zu den Berliner Philharmonikern. Dirigent ist der von den Philharmonikern geschätzte Lette Andris Nelsons, den eine Freundschaft mit dem schwedischen Startrompeter verbindet. 1968 in Moskau uraufgeführt, bezieht das Konzert seine schräge Wirkung aus dem Charakter des Tritonus, abgerissenen Signalen und einer seltsam gestörten Beziehung zum Orchester. Ein trauriger Gesang bildet die „Episoden“ des Mittelsatzes, bis sich erinnerungsreich (Mahler/Mendelssohn) das Finale zeigt. Mitunter erscheint die Komposition wie eine Concertante zwischen der Trompete und der Flöte Emmanuel Pahuds. Bei aller Virtuosität ist der Solopart von seinem Wesen her verschattet. Hardenbergers Interpretation betont diese persönliche Nuance mit seiner gespannten farbenreichen Interpretation.
[Alle wichtigen Updates des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter “Fragen des Tages”. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]
Eröffnet wird mit „Maria Anna, wach, im Nebenzimmer“ vom estnischen Komponisten Jüri Reinvere. Das Stück meint assoziativ Mozarts „Nannerl“ genannte Schwester, die abgeschieden vom gesellschaftlichen Dasein des Bruders in ihren Träumen weilt. Changierendes Klangbild aus Liegetönen. Der anwesende Komponist erntet einen Achtungserfolg.
Verwickelte Primitivität
Fünf Flöten (dritte auch, vierte nur Piccolo, fünfte Altflöte), ähnlich aufgeteilt je fünf Oboen, Klarinetten, Fagotte, Trompeten, acht Hörner: Strawinskys „Sacre du printemps“ bezieht seinen Ausdruck des Primitiven aus einem Übermaß an Raffinement. Andris Nelsons dirigiert in der Philharmonie die verwickelte Primitivität der Ballettmusik mit akkurater Zeichnung. Die Philharmoniker brillieren in der Wildheit der stampfenden Rhythmen. Es ist eine Musik, die dahindonnert in trockenen Schlägen, aber lyrische Folklore einlässt wie das Fagott-Motiv Daniele Damianos. Was Nelsons weniger interpretiert, ist die Magie der Partitur, das Geheimnisvolle der grausamen Zeremonie aus dem „heidnischen Russland“, ihre befremdliche Atmosphäre, die dem tödlichen Opfertanz eines „auserwählten“ Mädchens zustrebt.