Die Suche nach der Nummer 9: Wie Bayern München, so die Nationalmannschaft
Der deutsche Fußball wird gerade von einer Frage umgetrieben, die den deutschen Fußball schon ziemlich lange beschäftigt. Nur dass diesmal nicht die Nationalmannschaft davon betroffen ist, sondern vor allem der FC Bayern.
Die personellen Überschneidungen der beiden wichtigsten deutschen Teams sind traditionell hoch, aber bis zum Sommer war es so, dass die Bayern zu Neuer, Sané, Müller und Musiala eben auch noch Robert Lewandowski hatten, einen klassischen Mittelstürmer und pflichteifrigen Torjäger.
Seitdem der Pole den Klub verlassen hat, sehen sich nun auch die Münchner mit der Frage konfrontiert, ob sie nicht dringend und zwingend eine Nummer 9 brauchten.
Hansi Flick, früher Trainer der Bayern, heute Bundestrainer der Nationalmannschaft, kennt das Thema zur Genüge. „Darüber diskutieren wir schon ewig“, sagt er vor dem Nations-League-Spiel an diesem Freitag in Leipzig gegen Ungarn (20.45, live im ZDF). Das Fehlen echter Mittelstürmer wird im Land von Seeler, Müller und Klose seit einer kleinen Ewigkeit beklagt. „Da haben wir keine so hohe Dichte an Qualität“, gibt Flick zu.
Bisher hat er sich immer noch zu helfen gewusst. Nach 13 Spielen als Bundestrainer ist Flick weiterhin ungeschlagen, und die Tordifferenz von 42:8 spricht nicht unbedingt für gravierende Probleme im Offensivspiel. „Wir haben schon viele Möglichkeiten“, sagt Mittelfeldspieler Joshua Kimmich.
Was die Nationalmannschaft bei all diesen Möglichkeiten nicht hat, das ist der klassische Stoßstürmer, der sich im gegnerischen Strafraum mit Lust ins Getümmel stürzt. Timo Werner trägt zwar die Nummer 9 auf dem Trikot, sucht aber, dank seiner Schnelligkeit, eher aus den rückwärtigen Gebieten den Weg in den Strafraum. „Wir sind mit Timo Werner sehr zufrieden, weil er viele Dinge sehr, sehr gut macht“, sagt Flick. „Er hat bei uns gezeigt, dass er sehr torgefährlich ist.“
Werner ist der beste Torschütze unter Flick
Kein Spieler hat in Flicks knapp 13-monatiger Amtszeit so oft getroffen wie Werner. Acht Tore (in elf Einsätzen) sind es bisher, dazu kommen zwei Vorlagen, was den Nun-wieder-Leipziger auch zum besten Scorer der vergangenen Saison macht.
„Komischerweise hat es bei der Nationalmannschaft immer sehr gut geklappt“, sagt Werner – selbst in der Zeit, als er im Verein immer mehr Probleme bekam.
Gerade in der Phase, in der Werner beim FC Chelsea nur noch eine untergeordnete Rolle einnahm, war der Bundestrainer ein wichtiger Bezugspunkt für ihn. „Wir haben öfter mal telefoniert und über die aktuelle Situation geredet“, erzählt der 26-Jährige. „Das Wichtigste, was ich von ihm zu hören bekommen habe: Ich soll auf meine Stärken vertrauen.“
In London ist ihm das am Ende immer seltener gelungen, weswegen Werner in diesem Sommer a) nach zwei Jahren zu Rasenballsport Leipzig zurückgekehrt ist und b) der Eindruck entstanden ist, dass die Zeit in der Premier League sich für ihn als eher enttäuschend herausgestellt hat.
„Enttäuschend würde ich jetzt nicht sagen“, entgegnet Werner und verweist auf den Gewinn der Champions League. „Mir ist es am Anfang nicht schwergefallen“, sagt er über seinen Start in London, „aber auf einmal ist es ziemlich zäh geworden.“
Nimmt Flick einen echten Joker mit nach Katar?
Mit seiner Rückkehr nach Leipzig verbindet Werner die Hoffnung, nicht nur ein gewohntes Umfeld, sondern auch das Selbstverständnis in seinem Spiel wiederzufinden. Bisher ist ihm das nur bedingt gelungen.
Vier Tore in neun Pflichtspielen hören sich spektakulärer an, als sie es in Wirklichkeit sind. Drei dieser Treffer erzielte der Nationalspieler im Pokal gegen den Regionalligisten Teutonia Ottensen. In Erinnerung sind aus den ersten Wochen eher die vielen Chancen geblieben, die er ungenutzt gelassen hat.
Neu ist das nicht. Genauso wenig wie es die Zweifel sind, die Werner schon immer umgeben haben. Auch Hansi Flick sieht noch Verbesserungspotenzial. Sowohl auf Seiten seiner Kollegen, die zu oft den richtigen Moment für das Zuspiel auf ihn verpassen. Als auch von Werner selbst. „Das Selbstverständnis vor dem Tor“ könnte noch größer sein, findet Flick. „Daran muss er arbeiten, soll er arbeiten.“
So bleibt ungeachtet der hohen Wertschätzung, die Flick Werner entgegenbringt, die Frage, ob der Bundestrainer zur WM in zwei Monaten womöglich einen richtigen, echten, klassischen, typischen Mittelstürmer mitnimmt, den er von der Bank bringen kann, wenn es im Spiel mal wieder gehörig klemmt. So wie es Flicks Vorgänger Joachim Löw vor vier Jahren vorhatte, als er Nils Petersen, einen ausgewiesenen Jokertypen, zumindest in seinen vorläufigen Kader berufen hat.
Für diese Rolle käme in diesem Jahr der Bremer Niclas Füllkrug in Frage, der mit fünf Toren aktuell der erfolgreichste deutsche Stürmer der Bundesliga ist. Flick gibt zu, dass er sich mit diesem Thema tatsächlich beschäftigt. „Es kann durchaus sein, dass wir einen Spieler mitnehmen für diesen gewissen Moment“, sagt er.
Das könnte auch an Timo Werner liegen. Bisher hat er noch nicht beweisen können, dass er der Spieler für diesen gewissen Moment ist. Zumindest nicht bei großen Turnieren. Ein Tor hat er weder 2018 bei der WM in Russland erzielt noch 2021 bei der Europameisterschaft.
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