Die Oscars 2021 sind weiblicher, internationaler, diverser – endlich!
Fix, divers und Art Déco: So könnte man die 93. Oscar-Verleihung zusammenfassen, als deren überragende Siegerin Chloé Zhao mit dem Roadmovie “Nomadland” aus dem Rennen ging, mit 3 Oscars für den Besten Film, die Regie und Hauptdarstellerin Frances McDormand. Zhao ist nach Kathryn Bigelow (“The Hurt Locker”) 2010 die zweite Frau in der Geschichte der Academy Awards, die mit ihrem Film die Haupttrophäe gewinnt. Und die zweite asiatische Filmemacher:in, nach Bong Joon-hoo mit “Parasite” im letzten Jahr.
In “Nomadland”, der wegen der Corona-Pandemie auch hierzulande noch auf seinen Filmstart wartet, spielt McDormand, intensiv wie immer, aber diesmal mit meisterlicher Zurückhaltung, eine Nomadin von heute, die im Trailer durch die USA reist, sich mit prekären Jobs über Wasser hält und in Trailer-Parks andere prekäre Existenzen trifft. Ein Film über die Lebenskraft und den Zusammenhalt von gesellschaftlich an den Rand gedrängten Menschen, vor der Kulisse großartiger Landschaften.
Die chinesische, in den USA lebende Regisseurin Chloé Zhao hat bereits zahlreiche Preise für “Nomadland” gewonnen, darunter den Goldenen Löwen in Venedig, den Golden Globe und den Independent Spirit Award.
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Die übrigen Oscars wurden recht gleichmäßig verteilt und trugen der seit einigen Jahren erklärten Absicht Rechnung, dass der weltweit wichtigste Filmpreis weiblicher, internationaler, diverser wird. Etliche Auszeichnungen gingen an People of Color, an Künstler ausländischer Herkunft und an Frauen, darunter der Drehbuch-Preis für Emerald Fennell für das Vergewaltigungs-Rachedrama “Promising Young Woman” und die Nebendarstellerin-Auszeichnung für die Koreanerin Youn-Yuh-jung (“Minari”).
Als bester Darsteller gewann Anthony Hopkins im Demenz-Drama “Father”, das außerdem einen Goldjungen für das adaptierte Drehbuch davontrug. Jeweils zwei Oscars konnten außerdem das Black-Panther-Drama “Judas And The Black Messiah”, für Daniel Kaluuha als Nebendarsteller (wobei er eher eine Hauptrolle spielt) und den Originalsong von H.E.R. auf sich vereinen, ebenso die Netflix-Theateradaption “Ma Rainey ‘s Black Bottom” (Kostüme und Make-Up) sowie “Soul” als bester Animationsfilm und für die Filmmusik. Auch David Finchers zehnfach nominierter Favorit “Mank” (ebenfalls Netflix), ein bissiges Biopic über den Drehbuchautor von “Citizen Kane”, musste sich mit zwei Trophäen begnügen, für die Kamera und das Szenenbild.
Apropos Netflix. Mit dem Oscar für “Nomadland” und etlichen weiteren Hauptpreisen haben die Hollywoodstudios im Oscar-Duell mit den Streamingdiensten klar den Sieg davongetragen. Von den über 30 Nominierungen für Netflix (“Mank”, “Ma Rainey’s Black Bottom” und der Dokumentarfilmgewinner “Mein Lehrer, der Krake”) konnten nur fünf verwandelt werden, Amazon konnte sich über zwei Nebenpreise für “Sound of Metal” freuen, für Schnitt und Ton, während die Studios mit “Nomadland” und “The Father” fast alle Hauptpreise auf sich vereinen konnten. Die Statuette für den besten nicht-englischsprachigen Film ging erwartungsgemäß an Thomas Vinterbergs dänisches Trinkerdrama “Rausch”.
Frances McDormand: Mein Schwert ist meine Arbeit
Die im Dolby Theatre und in der Union Station (auch Art Déco!) von L.A. stationierte Gala (mit zugeschalteten Acts aus London und Paris) ging ohne spektakuläre Show-Höhepunkte mit etwas ungelenker Dramaturgie in gut drei Stunden über die Bühne. Regisseur Steven Soderbergh hatte eine filmische Inszenierung versprochen, von der wenig zu sehen war. Die Stars in Sitznischen und in einer Bahnhofshalle machten einen etwas verlorenen Druck.
Glamour-Stimmung kam anders als im sonst mit tausenden Filmschaffenden gefüllten Dolby Theatre nicht auf, auch vermisste man den Esprit besonderer Dankesreden. Die wenigen Ausnahmen: eine bewegende politische Rede von Viola Davis, die “Black Lives Matter”-Bemerkung von “One Night in Miami”-Regisseurin Regina King, sie hätte ihre High Heels gegen Marching Boots umgetauscht, wenn der Polizist Derek Chauvin nicht schuldig gesprochen worden wäre – und ein zu Tränen gerührter Brad Pitt.
Knapp und kämpferisch sagte Frances McDormand zum Schluss (seltsamerweise wurden die Hauptdarsteller diesmal nach dem Besten Film verkündet, verkehrte Reihenfolge): “Meine Stimme ist mein Schwert. Mein Schwert ist meine Arbeit, und ich liebe meine Arbeit” – und sie stimmte ihr berühmtes Wolfsgeheult an. Zu den wenigen Stimmungs-Highlights zählte außerdem das Popquiz mit Questlove, dem musikalischen Leiter des Abends, bei dem Glenn Close den “Butt” tanzte und munter mit dem Hintern wackelte – obwohl sie als nominierte Nebendarstellerin zum achten Mal leer ausgegangen war.
Die Hoffnung auf ein bisschen Oscar-Glanz für Deutschland hat sich nicht erfüllt: Bei den Dokumentarfilmen galt Alexander Nanaus Enthüllungsfilm “Kollektiv” über einen Gesundheitsskandal in Rumänien als aussichtsreicher Kandidat, zog gegenüber dem Audience-Pleaser “Mein Lehrer, der Krake” jedoch den Kürzeren.
Sehnsucht nach dem großen Kinosaal, nach Glamour in großer Runde: Die 93. Oscar-Verleihung hat diese Sehnsucht nach 13 Monaten Coronakrise nochmals geschürt. Und Chloé Zhao hätte man die Ovationen tausender Filmschaffender gewünscht.