Calixto Bieito inszeniert an der Berliner Staatsoper: Alles Verdi, oder was?

Im Frühjahr, nach der Entscheidung Daniel Barenboims, krankheitsbedingt seinen Posten als Generalmusikdirektor Unter den Linden aufzugeben, befand sich die Berliner Staatskapelle in einer künstlerischen Schockstarre. Die Aura war weg, das Magische, das Barenboim 30 Jahre zuvor in seinen Bann geschlagen hatte. Dieser traditionssatte, dichte, dunkle Klang, den er stets liebevoll gepflegt hatte, wirkte plötzlich stumpf, glanzlos.

Doch die Musikerinnen und Musiker haben sich zum Glück berappelt, fanden zu alter Stärke zurück, schon weit vor der Entscheidung, dass Christian Thielemann ihr neuer Chef wird. Und so sind am Tag der Deutschen Einheit, bei der Saisoneröffnungspremiere mit Giuseppe Verdis „Aida“, wieder musikalische Glücksmomente zu erleben.

Ein Aufschwung in den Geigen, ein saftig gesetzter Tutti-Akkord, traumschöne Soli von Flöte und Klarinette, betörende Klangabmischungen der Blechbläser, eine intensiv pulsierende Begleitfigur: Je zurückgenommener die Lautstärke, desto spannungsvoller erscheint die Musik, desto beglückender wirkt das innere Leuchten, die Geschmeidigkeit der melodischen Linien, das plastische Pianissimo.

Betörende Orchesterklänge

Die Staatskapelle lässt einen ganzen Kronschatz funkelnder akustischer Juwelen aufblitzen, selbst wenn ein nur solider Maestro wie Nicola Luisotti im Orchestergraben waltet. Und auch der Chor singt fantastisch, wie auf einem kollektiven Atem: Was für eine vokale Pracht im Triumphmarsch, was für eine Intensität in den leisen Passagen, bei den Beschwörungsformeln der ägyptischen Gebete!

Gleich ein halbes Dutzend Sängerstars verzeichnet der Programmzettel: Aidas Integrität beglaubigt Marina Rebeka mit der makellosen Reinheit ihres Soprans – und einer fulminanten Stimmtechnik. Als ebenbürtige Rivalin tritt ihr Elina Garanca entgegen, sinnlich, elegant, um aus der bösen Amneris eine Identifikationsfigur zu machen.

Elina Garanca (Amneris) bedrängt Mariana Rebeka (Aida) in Calixto Bieitos Inszenierung von Giuseppe Verdis "Aida" an der Berliner Staatsoper.
Elina Garanca (Amneris) bedrängt Mariana Rebeka (Aida) in Calixto Bieitos Inszenierung von Giuseppe Verdis “Aida” an der Berliner Staatsoper.
© Herwig Prammer

Yusif Eyvazov spielt den Mann, den beide lieben, also Radames, und es ist schön zu hören, wie er sich künstlerisch weiterentwickelt hat, seit er mit Anna Netrebko verheiratet ist, wie differenziert seinen stählernen Tenor zu beherrschen weiß. René Pape ist eine Luxusbesetzung als Oberpriester, Grigory Shkarupa ein wohltönender Pharao, Gabriele Viviani verströmt sich als Nubierkönig Amonasro in kraftvollem Stolz.

Was aber Calixto Bieito dazu als „Regie“ anbieten, ist eine Frechheit. Ein zeitgeistig kuratiertes Opernmuseum, bei dem neue Designervitrinen frische Ideen ersetzen. Gesellschaftskritik-Kitsch, Welterklärung auf „Wissen macht Ah!“-Niveau.

Opernmuseum, hip kuratiert

Es werden sämtliche Triggerpunkte gedrückt, um die Relevanz von Musiktheater zu suggerieren: Kindersoldaten und Großwildjagd, Ausbeutung und Umweltverschmutzung, Krieg, Konsum, Kapitalistenschweine. Videos flimmern, es wird mit Waffen hantiert als wären es Mode-Accessoires, Darsteller führen folgsam aus, was ihnen gesagt wurde – aber man glaubt ihnen kein Wort, keine Geste, erst recht keines der demonstrativ ausgestellten Gefühle.  

Dazu läuft die Schaut-mal-was-wir-technisch-können-Show, bei der Wände wandern, Ebenen hoch- und runterfahren, Deckenelemente tanzen. Steril ist dieses szenische Oberflächenarrangement, hochglanzlackiert wie der Bühnenbildkasten von Rebecca Ringst.

Calixto Bieito hat mal was gewollt. Wer an seine „Entführung aus dem Serail“ zurückdenkt, vor 20 Jahren an der Komischen Oper, dem tritt noch heute der Angstschweiß auf die Stirn. Denn da ging es um Leben und Tod. Bei der „Aida“ Unter den Linden geht es um: nichts.

Christoph Schlingensief, der große Humanist unter den Bühnenprovokateuren, hatte für solche wohlfeilen Augenwischereien – die wirken, als seien sie gemütlich beim Edelitaliener konzipiert worden – nur Verachtung übrig. Und einen treffenden Ausdruck: „Rotwein-Scheiß“.