Die Filme der Berlinale: Im Kino muss der Dialog noch möglich sein

Von Wehmut war am Montagvormittag im Berliner Haus der Kulturen der Welt noch nichts zu spüren, als die Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian den Wettbewerb ihres letzten gemeinsamen Festivals verkündeten. Es wird im Februar noch reichlich Gelegenheit geben, die fünfjährige Amtszeit des bislang einzigen Berlinale-Leitungsduos – in deren kurze Ära immerhin eine Pandemie und zwei Kriege fielen, welche uns noch lange beschäftigen werden – zu bewerten.

Niemand ging auch davon aus, dass sich im fünften Jahr inhaltlich noch mal etwas ändern würde. Zwar hat Chatrian durchaus gezeigt, wie man ein Filmfestival von der Größenordnung Berlinale kuratorisch gestalten kann. Er hat aber auch kein Mittel gegen die Unwägbarkeiten des globalen Kinomarktes und die Konkurrenz Cannes und Venedig gefunden. Das sind Hoffnungen, die sich künftig auf die Nachfolgerin Tricia Tuttle fokussieren.

Das Publikum ist Carlo Chatrian gefolgt

Dass Chatrian und sein Team ihr Programm in diesem Jahr aus Sparzwängen mit weniger Filmen (199 aktuelle Produktionen plus die filmhistorischen Reihen) bestreiten müssen, ist trotz dieser Umstände sicher kein Nachteil. Wobei sich das Berliner Publikum, das zeigt schon die Zahl der verkauften Tickets im vergangenen Jahr, durchaus bereit gezeigt hat, der cinephilen Neugier des Festivalchefs zu folgen. Im Gegensatz übrigens zu einem Großteil der deutschen Filmkritik, die erst aufschrie, nachdem Chatrian auf denkbar unwürdige Weise von Claudia Roth demontiert worden war.

Zwanzig Filme laufen dieses Jahr im Wettbewerb, darunter die zwei deutschen Produktionen „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen und „Sterben“, Michael Glasners erster Kinofilm seit zwölf Jahren. (Zu den drei deutschen Co-Produktionen gehört Claire Burgers „Langue Étrangère“ mit Nina Hoss.)

Dresen erinnert in seinem Film an die Geschichte der „Rote Kapelle“-Mitglieder Hilde und Hans Coppi, gespielt von Liv Lisa Fries und Johannes Hegemann, die 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Er feiert wie auch Glasner mit seinem Familiendrama „Sterben“ eine Rückkehr zur Berlinale; dessen „Panoptikum der Todgeweihten“ (so der Verleih) versammelt mit Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld, Robert Gwisdek und Saskia Rosendahl ein großartiges Ensemble.

Unter den 15 Titeln in der Reihe Encounters befindet sich zudem mit „Ivo“ der lang erwartete Nachfolger von Eva Trobischs preisgekröntem MeToo-Drama „Alles ist gut“. Der Fokus auf zwei deutsche Filme im Wettbewerb, nach der leicht übertriebenen Verve im Vorjahr, die qualitativ auch nicht durchgehend überzeugende Ergebnisse hervorbrachte, eröffnet auch eine erweiterte Perspektive auf das Weltkino.

Verschont vom Israel-Boykott

So konkurrieren mit der neuen Arbeit des mauretanischen Altmeisters Abderrahmane Sissako, dem senegalesischen Beutekunst-Dokumentarfilm „Dahomey“ der Regisseurin und Schauspielerin Mati Diop und dem Debüt „Mé el Aïn“ der Tunesierin Meryam Joobeur gleich drei Vertreter des afrikanischen Kinos um den Goldenen Bären; dazu Filme aus Mexiko, dem Iran, Südkorea, der Dominikanischen Republik und erstmals Nepal. Das afrikanische Kino war in den vergangenen Jahren zum blinden Fleck auf den großen Filmfestivals geworden.

„Black Panther“-Star Lupita Nyong’o wird in diesem Jahr der Berlinale-Jury vorsitzen.
„Black Panther“-Star Lupita Nyong’o wird in diesem Jahr der Berlinale-Jury vorsitzen.

© AFP/FREDERIC J. BROWN

Zum blinden Fleck des Berlinale-Wettbewerbs wurde in der Ära Chatrian allerdings auch zusehends das US-amerikanische Kino. Und dieses Manko können die Specials-Vorführungen von Filmen wie „Love Lies Bleeding“ mit der letztjährigen Jury-Präsidentin Kristen Stewart, der Netflix-Produktion „Spaceman“ mit Adam Sandler und Atom Egoyans „Seven Veils“ mit Amanda Seyfried nun mal nicht wettmachen.

Hollywood-Glamour muss sich die Berlinale auch in diesem Jahr vor allem über die Jury-Präsidentin Lupita Nyong’o und den Chatrian-Unterstützer Martin Scorsese als Ehrenbär-Preisträger reinholen – der seinen letzten Film „Killers of the Flower Moon“ dann aber auch lieber in Cannes zeigen wollte. Aaron Schimbergs Psychothriller „A Different Man“ mit Sebastian Stan ist die einzige amerikanische Produktion im diesjährigen Wettbewerb.

Dass Chatrian und Rissenbeek in ihrem letzten Jahr eine Art Mangelwirtschaft verwalten müssen (ohne Not übrigens, wie sich nach der kurzfristigen Budgetaufstockung durch Roth heraugestellt hat), ist leider bezeichnend für ihre glücklose Amtszeit, die von globalen Krisen geprägt war. Immerhin scheint es, dass die Berlinale von den Boykotts, die deutsche Kultureinrichtungen und -festivals gerade erschüttern, verschont bleibt. Die jüngste Kampagne „Strike Germany“ gegen die Israel-Politik der Bundesregierung hat laut Chatrian bislang nur zur Absage von zwei Video-Arbeiten in der Reihe Forum Encounters geführt.

Am Montag verurteilen Chatrian und Rissenbeek in einem Statement zur aktuellen politischen Lage noch einmal sowohl Antisemitismus als auch antimuslimischen Hass deutlich – und betonen die Rolle der Berlinale als einen Ort des Dialogs. Dies bleibt eine nicht zu unterschätzende Aufgabe für das größte Publikumsfestival.