Der letzte große Auftritt von Luis Suárez: Glanz und Trauer zum Abschied

Die WM 2022 ist eine Zeit der epochalen Abschiede. Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Thiago Silva oder beim Ausscheiden der deutschen Mannschaft auch Thomas Müller. Sie alle erleben in Katar wohl ihre letzte Weltmeisterschaft und mit ihrem Abtreten endet eine Zeitrechnung im Weltfußball. Auch Luis Suárez tritt am Freitagabend von der Weltbühne ab.

Der 35-jährige Rekordtorschütze Uruguays muss nach seiner Auswechslung von der Bank aus miterleben, wie sein Team bis in die achte Minute der Verlängerung verzweifelt um das Weiterkommen fightet.

2:0 führt „La Celeste“ in der Partie gegen Ghana, der Sieg ist ungefährdet. Doch im Parallelspiel hat Südkorea kurz vor Schluss überraschend den 2:1-Siegtreffer gegen Portugal erzielt. Uruguay braucht ein weiteres Tor, um noch ins Achtelfinale einziehen zu können. Doch Suárez kann seine Kollegen nicht mehr helfen, seit er in der 66. Minute für Edinson Cavani das Feld verlassen hat. Doch der so wichtige Treffer will einfach nicht gelingen, mit jeder Sekunde die verrinnt, wird „El Pistolero“, wie sie Suárez in seiner Heimat wegen des provokanten Revolverheld-Jubels nennen, sich bewusster, dass er seine vierte und letzte WM-Teilnahme machtlos auf der Bank erleben muss.

In Uruguay heißt es, die Nationalelf brauche die „Garra Charrua”– den Kampfgeist der Indigenen, die einst auf dem Territorium des Landes lebten – um sich gegen die großen Nationen durchzusetzen. Kein Spieler symbolsiert diesen kompromisslosen Überlebenswillen mehr als Luis Suárez. Für einen wie ihn, dem Zeit seiner Laufbahn jedes Mittel Recht war, um Spiele zu gewinnen, mitunter auch unerlaubte, ist es die absolute Höchststrafe auf der Ersatzbank dem Schicksal widerstandslos ausgeliefert zu sein.

Suárez kämpft mit seinen Tränen als sich der Abpfiff nähert

Ein Kämpfer wie er will, wenn die Zeit gekommen ist, nicht im Bett, sondern auf dem Schlachtfeld sterben. Und so sackt Suárez, je näher der Abpfiff rückt, immer tiefer in den Schalensitz, kämpft mit den Tränen, versteckt zeitweise sein Gesicht im Ausschnitt seines Trikots.

Was für eine Tragik? Doch Ghana gibt keinen Ball verloren, die Afrikaner halten dagegen, als es ginge es für sie noch um den Einzug in die K.O.-Runde. Durch die Niederlage, an der nun in der Nachspielzeit nichts mehr zu ändern ist, fährt das Team von Coach Otto Addo als Gruppenletzter nach Hause. Doch als der Ball nach einem Torschuss Uruguays ins Aus trudelt, lässt sich Keeper Lawrence Ati Zigi aufreizend viel Zeit beim Abschlag.

Diese Phase ist Ghanas späte Rache für ein Ereignis, dass mehr als zwölf Jahre zurückliegt. Und der Adressat, auf den sich die ghanaische Abneigung bezieht, sitzt draußen auf der Bank und ist kurz davor, wie ein Kleinkind zu flennen: Luis Suárez.

2010

Bei seiner ersten WM-Teilnahme verhinderte er mit einem absichtlichen Handspiel den Siegtreffer von Ghana

Bei der WM 2010 verhinderte er in der Verlängerung des Viertelfinals gegen Ghana durch ein absichtliches Handspiel den 2:1-Siegtreffer des Teams aus Afrika. Wegen der Aktion wurde er vom Platz gestellt, doch Asamoah Gyan verschoss den fälligen Strafstoß. Während des Elfmeterschießens weigerte sich Suárez dann, trotz des Platzverweises regelkonform den Innenraum zu verlassen. Später bezeichnete er seine Aktion als „die beste Torwartparade der WM“ und zog vollends den Hass der Ghanaer auf sich.

Für sein damaliges Verhalten revanchieren sich die Spieler von Otto Addo nun mit einem beherzten Einsatz bis zum Schlusspfiff des deutschen Schiedsrichters Daniel Siebert.

Mit ihm hat Suárez im Laufe der Spielzeit etliche Sträuße ausgefochten. In der 21. Minute hat Siebert nach Überprüfung der TV-Bilder auf Elfmeter für Ghana entschieden und damit den Zorn der Himmelblauen geschürt. Doch Schütze Andre Ayew scheitert an Uruguays Keeper Sergio Rochet, der an diesem Tag eine Weltklasseleistung abliefert.

Bis zu seiner Auswechslung hath er durchaus überzeugt

Als der Unparteiische in der 58. Minute nach einem möglichen Foul an Uruguays Darwin erneut den VAR zurate zieht, entscheidet sich der Deutsche nach ausführlichem Studium der Bilder allerdings gegen eine Elfmeterentscheidung, die den ohnehin im Debattenmodus befindlichen Suárez völlig aus der Fassung bringen.

Dabei hat Uruguays notorischer Zündler bis zu seiner Auswechslung durchaus Akzente gesetzt: Dem 1:0 durch Giorgian de Arrascaeta ist ein Torschuss von Suárez aus halblinker Position vorausgegangen, den Ati Zigi nur abklatschen lässt. Beim zweiten Treffer schlenzt der Veteran aus Salto den Ball von der Grenze zum 16-Meterraum in einer Bogenlampe nach rechts zum besser postierten de Arrascaeta, der völlig freistehend einschießen kann.

Doch Suárez’ Heldentaten sind in der Nachspielzeit, in der er weinend auf der Ersatzbank kauert, nur noch Makulatur. Die letzten Sekunden, die er als Aktiver auf der Bühne einer Weltmeisterschaft steht, erlebt er ohnmächtig und ohne Einfluss. Als Edinson Cavani kurz vor Schluss im Strafraum zu Fall kommt, gibt Suárez noch einmal alles. Irre lachend und wild gestikulierend, signalisiert er dem Referee, dass er von ihm an diesem Abend nichts mehr erwartet, wenn er nicht einmal in der Lage ist dieses vermeintlich glasklare Foul zu erkennen.

Er war in drei europäischen Ligen Torschützenkönig

Und so gerinnt Suarez’ finale WM-Show zu einer Essenz der Dinge, die ihn auf sehr unterschiedliche Weise aus dem Gros der Fußballer stets herausstechen ließen: 42.000 Zuschauer im Al Janoub Stadion erleben einerseits ein letztes Mal den begnadeten Stürmer, der in seiner Laufbahn in drei europäischen Ligen Torschützenkönig war und mit zentral dazu beigetragen hat, dass Uruguay in den vergangenen zwanzig Jahren wieder konstant zu den besten Nationalteams der Welt zählt. Sie werden jedoch auch Zeuge, einer letzten Galavorstellung dieser unermüdlichen Giftspritze, als die Suárez spätestens seit seiner Beißattacke gegen Italiens Giorgio Chiellini bei der WM 2014 im Weltfußball gilt.

Als er vor dem Spiel gefragt wurde, ob ihm sein absichtliches Handspiel 2010 im Rückblick eigentlich leidtäte, zumal er deshalb seitdem in Ghana als Teufel angesehen würde, antwortet er: „Wieso sollte es? Der ghanaische Spieler hat verschossen, nicht ich. Vielleicht täte es mir leid, wenn ich jemanden bei der Aktion verletzt hätte, aber ich habe eine Rote Karte in Kauf genommen und dass der Elfmeter vergeben wurde, ist nicht mein Fehler.“

Und so scheiden die Ghanaer an diesem Abend erhobenen Hauptes aus der WM und kämpfen bis zum Abpfiff darum, dass es beim 2:0-Sieg Uruguay bleibt und auch „La Celeste“ den Heimweg antreten muss.

Als es soweit ist, lässt Luis Suárez seinen Gefühlen freien Lauf. Die Tränen fließen in Sturzbächen an seinen Wangen herunter, immer wieder zieht er sich das Trikot verschämt über den Kopf. Der Agent Provocateur verlässt den Schauplatz seiner Taten. Auch wenn er nicht immer nur Gutes im Schilde führte, er wird dem Fußball fehlen.

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