Das grün-gelbe Selfie leitet eine Zeitenwende ein
Kaum ist die Bundestagswahl vorbei, braucht die dauerüberreizte Aufmerksamkeitsökonomie neues Futter. Also bewegt jetzt ein Selfie Internet-Deutschland. Zu sehen sind darauf die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie FDP-Chef Christian Lindner und sein Generalsekretär Volker Wissing.
Die Spitzen der beiden Parteien hatten sich überraschend schon in der Nacht auf Mittwoch getroffen, um erste Vorgespräche über eine gemeinsame Regierungsbeteiligung zu besprechen. In legerer Kleidung in die Kamera lächelnd, scheinen sie Optimismus ausstrahlen zu wollen.
Alle vier teilten über Instagram dasselbe Foto, beschriftet mit dem exakt gleichen Wortlaut: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
In sozialen Netzwerken sorgte das Bild für große Erheiterung. Vergleiche zu Familiengruppen bei WhatsApp werden da gezogen, wo Onkel und Tanten den Daheimgebliebenen mit einem Foto beweisen, dass sie gut angekommen sind. Andere diskutieren über Vorschläge für einen gemeinsamen Bandnamen oder erörtern, wer den ästhetischeren Instagram-Filter gewählt hat – und ob dieser politische Differenzen offenbart.
Längst kursiert natürlich auch ein Video, in der alle vier synchron ihre Lippen zum Hit „We Are Family“ von Sister Sledge bewegen. Doch lässt sich auf dem Foto mehr erkennen, als ein ironisches Augenzwinkern erfassen kann?
Zunächst: Grüne und FDP beherrschen die Klaviatur des Internets. Wohl auch deshalb punkteten beide bei der zurückliegenden Wahl unter jungen Menschen. In Bildsprache und Social-Media-Affinität lassen die möglichen Juniorpartner in einer Dreierkoalition die „Großen“ ziemlich alt aussehen. Vor vier Jahren spielten Selfies im Wahlkampf kaum eine Rolle, heute sind sie allgegenwärtig. Doch Scholz und Laschet haben nur einen Bruchteil der Anzahl an Followern von Lindner und Baerbock auf Instagram.
Die Macht der Bilder wächst immer weiter
Politik bedient sich seit jeher der Suggestivkraft von inszenierten Bildern – das galt auch schon lange vor Social Media. Man denke an Willy Brandts Kniefall von Warschau. Helmut Kohl und François Mitterand Hand in Hand in Verdun. Oder Gerhard Schröders Gummistiefel-Fotos beim Hochwasser 2002. Bis heute lassen sich Verkehrsminister beim symbolischen Spatenstich fotografieren. Verteidigungsministerinnen posieren in Uniform vor Kampfflugzeugen. Und der Gesundheitsminister legt zum Besuch im Forschungszentrum den Laborkittel an.
Doch die Macht der Bilder wächst immer weiter – und wird immer unkontrollierbarer. Jeder kann heute in jedem Moment Fotos machen, sie bearbeiten und in Sekunden ins Netz stellen. Politiker und Medien büßen zunehmend ihre Hoheit über die Verbreitung und Ausdeutung ein. Die Zeiten, in denen man sich nur vor der laufenden Kamera zusammenreißen musste, sind vorbei. Jedes Nasenbohren, jede ungeschickte mimische Regung kann die politische Zukunft kosten. So waren die Bilder des feixenden Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Hochwassergebiet wohl ein entscheidender Faktor für die schwere Wahlniederlage der CDU.
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Doch auch nach Wahlen kann die Inszenierung misslingen. In Erinnerung sind die Fotos vom Balkon der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin, als CDU, FDP und Grüne 2018 über eine Jamaika-Koalition verhandelten. Tag für Tag präsentierten sich die Unterhändler hinter der steinernen Brüstung in ihren Pausen. Ein Lächeln hier, ein Winken da. Jede zaghafte Berührung, jedes Tuscheln fingen die Kameras ein. Besonders ein Schnappschuss sorgte damals für Diskussion: das Trio Alexander Dobrindt, Christian Lindner und Armin Laschet zündete sich hoch über den Köpfen der Medienvertreter Zigarillos an. Vorschnelle arrogante Machtgesten eines Männerbundes?
Ein geschickter PR-Zug
Robert Habeck sagte am Montag der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, dass man diesmal diese Form von Balkonfotos vermeiden wolle. Es sei töricht gewesen, „sich da mit einer geradezu royalen Geste hinzustellen, bevor überhaupt ein Ergebnis gefunden werden konnte“. Was Habeck, Baerbock, Lindner und Wissing also zeigen wollen: Wir haben verstanden. Man zeigt sich vorsichtig, nahbar, bescheiden, sachorientiert, abgestimmt und kompromissbereit. Selfies als Selbstvergewisserung. Wenn man es schon auf ein gemeinsames Bild schafft, dann doch auch in eine Regierung.
Nebenbei ist das ein geschickter PR-Zug: Statt über die politischen Gegensätze, redet das Land nun über Bildzuschnitte und Filter. Was beim grün-gelben Geheimtreffen besprochen wurde, ist unbekannt. Optik schlägt vorerst Inhalt. Der öffentliche Druck ist abgeleitet. Und so sind wir nun auch in der Politik Zeugen der Verschiebung von einer Inszenierung für die Fremddarstellung zu einer Optimierung in der Selbstdarstellung. Die Macht über das eigene Bild ist die Macht über das eigene Image.
Vollends aufgegangen scheint die Strategie nicht. Die Aufnahme wirkt auf die meisten Beobachter in sozialen Netzwerken arg gekünstelt – und dadurch unfreiwillig komisch. Wie einst der Versuch von Armin Laschet, seinen Fauxpas im Hochwassergebiet dadurch zu korrigieren, dass er eine Ansprache vor einem Schuttberg hielt. Und doch kann man in Anlehnung an die Worte Christian Lindners, mit denen er die Koalitionsgespräche 2017 platzen ließ, festhalten: Es ist besser, selbst zu inszenieren, als falsch inszeniert zu werden. Hauptsache man vergisst darüber nicht, irgendwann auch mal besser zu regieren.