Basketball ohne Grenzen auf dem Tempelhofer Feld
Es ist Freitagabend, der Himmel ist wolkenlos und die Sonne steht bereits am Horizont. Sie taucht das Tempelhofer Feld in orangefarbenes Licht mit einigen dunkellila Flecken. Die Luft ist nicht mehr ganz so schwül, sogar ein leichter Windzug ist zu spüren. Der Blick reicht weit über die großen Rasenflächen, auf denen einige Menschen sich mit Decken niedergelassen haben und andere mit Inlinern über die breit angelegten Wege skaten.
Hinter einem Zirkuszelt und mehreren Volleyballfeldern erstreckt sich ein großer Basketballcourt in knalligen Lila- und Rottönen, der von einem hohen Zaun umgeben ist. Darauf befinden sich zwei Spielfelder aus Tartan, auf dessen Kopfseiten in Großbuchstaben „Satou Sabally“ prangt – der Name einer der erfolgreichsten Basketballerinnen Deutschlands.
Hier kommen seit einigen Wochen im Rahmen eines elfwöchigen Sommer-Trainingprogramms Menschen zusammen, um gemeinsam Basketball zu spielen, aber auch im Anschluss daran bleibt er zugänglich. Sogenannte Open Cages sind in Berlin eine Seltenheit, die meisten Vereine trainieren in Hallen oder auf Sportplätzen, die oftmals schwer zu erreichen sind.
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Das Besondere: Auf dem Tempelhofer Feld ist der Court am Freitagabend ausschließlich FLINTA*-Personen vorbehalten, also Frauen, Lesben, intergeschlechtliche nicht-binäre, trans* und agender Personen, kurz: Jene, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden.
„Ich freue mich riesig über diese neue Möglichkeit“, sagt Heike Mann, die als Trainerin bei Seitenwechsel, dem „Sportverein für FrauenLesbenTran*Inter* und Mädchen“, ehrenamtlich arbeitet. Für sie ist es das erste Training auf dem neuen Court, rund 20 Personen sind dabei. Mann und ihre Kolleg*in Sara Radonja hoffen, dass in den kommenden Wochen noch mehr davon erfahren und sich ihnen anschließen.
Am Dienstag, als Türkiyemspor ebenfalls im Rahmen des Sommerprogramms auf dem Court trainierte, waren es fast doppelt so viele. „Vielleicht können wir irgendwann sogar Tournaments im 3×3 Streetball oder sogar Basketball spielen, die hier auf dem Court gemeinsam von allen involvierten Sportvereinen realisiert werden und für alle FLINTA* und Mädchen* zugänglich sind“, sagt Mann.
Der Court ist stundenweise nur FLINTA*-Personen zugänglich
Mann wuchs in einer Kleinstadt im Erzgebirge auf und sie und eine Freundin waren lange Zeit die einzigen Mädchen in ihrer Schule, die Basketball spielten. „Eigentlich gab es nur Handball- und Fußballvereinssport, aber selbst das war für Mädchen schwierig. Deshalb haben wir freizeitmäßig auf dem Court gezockt und nur gegen Jungs gespielt.“
Seit einem dreiviertel Jahr arbeitet sie als Coach bei Seitenwechsel. Für sie könnte der Kontrast zwischen ihrer eigenen Kindheit und dem Sommerprogramm kaum größer sein, sagt Mann, während sie den Blick auf den Platz schweifen lässt und einer Spieler*in ein gelbes Leibchen zuwirft. „Total viele sagen, dass sie das zu ihrem Heimcourt machen wollen; dass dies der Ort sein könnte, wo man öfter aufeinandertrifft und zocken kann. Deshalb ist der Platz so wichtig.“
Grundsätzlich steht der Court allen offen, stundenweise ist er aber nur FLINTA*-Personen zugänglich. Die Idee dahinter habe nichts mit „Männerhass“ zu tun oder der Unterstellung, dass man nicht auch gemeinsam Spaß am Sport haben könne, sagt Mann. „Es ist einfach schön, in einer Umgebung zu sein, in der man ausnahmsweise nicht in der Minderheit ist, sondern in der Mehrheit. Es braucht erst einen Safe Space, damit mehr Menschen sich trauen Basketball zu spielen, bevor alle gemeinsam zocken können.“
Radonja stimmt ihr zu: „Man muss erstmal einen Raum schaffen, in dem Frauen* ihre Ängste überwinden können.“ Denn gerade FLINTA* Personen würden oft Diskriminierung im Sport erfahren. Eine Spielerin, die trans* ist, war auch schon bei einer Trainingseinheit dabei. „Sie hat sich lange zu groß gefühlt und sich viele Jahre nicht getraut zum Basketball zu kommen“, erzählt Mann. „Auf dem Lesbisch-Schwulen- Straßenfest haben wir ihr dann von dem neuen Court erzählt und kurz darauf kam sie zum Training, um es sich mal anzuschauen und mittlerweile spielt sie selbst.“
Die Spieler*innen starten mit einigen Aufwärmübungen, dribbeln den Ball über das Feld und werfen ihn anschließend in den Korb. Einige kennen sich vom Training bei Seitenwechsel, andere sind spontan dazugestoßen. „Die haben alle richtig Bock zu zocken. Am liebsten würden sie direkt loslegen mit dem Spiel“, sagt Mann und lacht. Eine Altersbegrenzung gibt es nicht, die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, aber auch wesentlich ältere Spieler*innen nehmen am Training teil.
Im Hintergrund ertönt aus einer Box Hip-Hop, einige tanzen in den Pausen lachend zur Musik, während sie darauf warten, dass sie an der Reihe sind. Das Training findet auf Deutsch und Englisch statt und dauert anderthalb Stunden. Zu Beginn gibt es eine Vorstellungsrunde, bei der alle Teilnehmenden ihren Namen und ihr Personalpronomen nennen.
Sara Radonja möchte ihre Leidenschaft weitergeben
Mit dabei ist auch Marion, die schon länger bei Seitenwechsel spielt: „Der neue Court ist so schön, ich liebe ihn jetzt schon. Es ist toll, wie viele Frauen* hier zusammenkommen und man sich nicht überwinden muss, weil so viele Männer da sind und man womöglich nicht mitmachen darf.“ Sehr gut gefällt ihr, dass der Court nach Sabally benannt wurde. „Es gibt immer noch wenige Vorbilder im Basketball, die Frauen sind, deshalb ist das etwas ganz Besonderes.“
Nachdem die Spieler*innen sich aufgewärmt haben, zeigt Sara Radonja ihnen einige Tricks. Sie wurde in Sarajewo geboren, hat aber den Großteil ihres Lebens in Belgrad und Berlin verbracht. Der neue Court wecke bei ihr ein Glücksgefühl aus der Kindheit, sagt sie, „die Erinnerung daran, im öffentlichen Raum auf einem superschönen Court und mit sehr guter Location trainieren zu können.“
Denn in Serbien, wo sie selbst zunächst bei ŽKK Partisan aktiv war, spielte Basketball eine große Rolle. „Leider lösten sich wegen der Wirtschaftskrise zuerst die Frauenteams auf, weswegen ich den Klub wechseln musste“, erzählt sie. Aber die Freude am Spielen sei trotz aller Umstände geblieben und so spielte sie als junge Erwachsene für Vereine wie Novi Beograd und Radnicki in der Ersten Liga.
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Ihre Leidenschaft will sie hier in Berlin an andere weitergeben. Sie hofft, dass in den kommenden Jahren noch mehr solcher Courts gebaut werden, denn: „Man muss sich nicht mit Basketball-Vereinen auskennen, FLINTA*s können einfach vorbeischauen und merken, dass niemand zu groß, zu klein oder nicht gut genug ist.“
Die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Deutschland sollten genutzt werden, um in Frauensport zu investieren, findet Radonja und es sollte viel mehr Courts geben die nach Frauen* benannt sind. Vielleicht prangen dann schon bald auf noch mehr Feldern in knalligen Farben die Buchstaben bekannter Basketballerinnen.