Autor von „Mein Herz so weiß“: Spanischer Schriftsteller Javier Marías gestorben

Man muss nicht lange überlegen, wenn es gilt, sofort einen Romantitel des spanischen Schriftstellers Javier Marías zu nennen: „Mein Herz so weiß“. Dieser Roman hat sich eingebrannt ins Literaturgedächtnis, mit ihm hat sich das Schriftstellerdasein von Javier Marías stets verbunden. Es war das Jahr 1992, als „Mein Herz so weiß“ veröffentlicht wurde, Marías hatte da in seiner Heimat schon eine Vielzahl von Büchern veröffentlicht, und er wurde für diesen Roman mit dem „Premio de la Critica“ ausgezeichnet, zwei Jahre später, 1995, gar mit dem Romulo-Gallegos-Preis, einem der wichtigsten Literaturpreise der spanischsprachigen Welt.

Obwohl zwei seiner Bücher auch ins Deutsche übersetzt worden waren, hatte man bis dato von Marías keine Notiz genommen. Als „Mein Herz so weiß“ aber 1996 auch in Deutschland erschien und Marcel Reich-Ranicki urteilte, dass dieser Roman „einer der wichtigsten ist, die ich in den letzten Jahren gelesen habe“, gab es kein Halten mehr: Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste, über eine Million verkaufte Exemplare. Der Roman ist anspruchsvoll, enthält lauter literarische Referenzen, von denen Shakespeare nur eine ist, erzählt eine Liebesgeschichte elegant, unterhaltsam, mit einem Rest von Geheimnis und ewiger Unerfülltheit, und eine kriminalistische Indizienjagd steckt in „Mein Herz so weiß“ überdies.

Endlich hatte man wieder jemand, der einem Eco literarisch das Wasser reichen, der erzählen konnte und trotzdem literarische Ansprüche nicht verriet. Natürlich wurde der dann zügig ins Deutsche übersetzte, schon 1994 im Original erschienene Nachfolger „Morgen in der Schlacht denk an mich“ ebenfalls ein Bestseller. Auch mit diesem bewies Javier Marías, was für ein diffiziler und raffinierter Erzähler er war, und auch dieser Roman ist eine Verbeugung vor Shakespeare.

Schon mit 18 einen Roman geschrieben

Letzteres war begründet durch sein Studium der Philosophie und Literaturwissenschaften Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in Madrid. Schon früh sollte er sich dabei auf die englische Philologie konzentrieren. Dass Marías Mitte der achtziger Jahre spanische Literatur in Oxford lehrte, passt ins Shakespeare-Bild.

Geboren 1951 als zweitjüngster von fünf Söhnen des Philosophen und Franco-Gegners Julian Marías, stand Javier Marías dem spanischen Diktator gleichsam skeptisch gegenüber und trat einer kommunistischen Gruppierung bei, von der er später aber nichts mehr wissen wollte. Seine Leidenschaft galt sowieso dem Geschichtenerzählen.

Mit nicht einmal 18 Jahren hatte er seinen (dann nie veröffentlichten) ersten Roman geschrieben, und er war 20, als schließlich mit „Los Dominios de Lobos“ sein Debütroman erschien. Nachdem er mit dem Campus-Roman „Alle Seelen“ seine Zeit in Oxford verarbeitet hatte, beschloss seinen Lehrstuhl, den er inzwischen in Madrid innehatte, aufzugeben und hauptberuflich als Schriftsteller zu arbeiten – als Autor von Romanen mit Titeln wie „Der Gefühlsmensch“, von literarischen Introspektionen, von Büchern mit Liebesrätseln, mit historisch-philosophischem Know-How und den typisch langen, verschlungenen, einschubreichen Javier-Marías-Sätzen.

„Dein Gesicht morgen“ war sein Opus magnum

Wie es mit Bestsellern wie „Mein Herz so weiß“ dann ist – an ihnen wird wirklich alles Nachfolgende gemessen, und das konnte und wollte Javier Marías nur bedingt erfüllen. Das Publikum zumindest in Deutschland begann sich wieder von ihm abzuwenden, weshalb sein eigentliches Opus magnum, die Trilogie „Dein Gesicht morgen“ zwar respektvoll, aber nicht mit Begeisterung aufgenommen wurde.

Darin erzählt Marías die Lebensgeschichte des Exilspaniers Jaime Deza, der wegen seiner Gabe, Menschen zu durchschauen und ihre Verhaltensweisen vorauszusehen, vom britischen Geheimdienst angeworben wird. Die Gräuel des spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs, die Terroranschläge von New York, Madrid und London bilden den Hintergrund dieses langen Lebens. Das spanische Publikum war euphorisiert, in Deutschland aber stieß die Trilogie auf nur wenig Interesse bei Publikum und Literaturkritik.

Ihn focht das nicht an. Javier Marías war ein Autor, der sich seiner selbst gewiss war; der es sich auch nicht nehmen ließ für Zeitungen regelmäßig Kolumnen über Politik und Gesellschaft zu verfassen, und der auch aus seiner Begeisterung für Real Madrid nie einen Hehl machte und selbstverständlich auch darüber schrieb. Doch so groß die Zuneigung für die Königlichen war: Die Literatur war stets seine erste Liebe.

Davon legte er in wunderbar spielerischen Büchern wie „Geschriebenes Leben“ und „Das Leben der Gespenster“ Zeugnis. Darin finden sich ernsthafte und weniger ernsthafte Schriftsteller-Porträts, nicht ganz so warme Worte für Thomas Mann oder James Joyce, aber auch sieben gute Gründe dafür, warum man keine Romane schreiben sollte. Doch hat es für ihn nie Schöneres gegeben, als den überwiegenden Teil seines Leben in der Fiktion zu verbringen, „dem wahrscheinlich einzig erträglichen oder halbwegs erträglichen Ort.“ Am Sonntag starb Javier Marías an einer Lungenentzündung in Folge einer Covid-Infektion, wenige Tage vor seinem 71. Geburtstag.

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