Aus dem Leben eines Klassikkritikers: Als ich zum Opa wurde

Es ist erst 30 Jahre her, aber als ich beim Tagesspiegel anfing, lebten wir informationstechnisch gesehen noch in einem anderen Zeitalter. Im Verlagsgebäude gab es ein fensterloses Großraumbüro voller raumhoher Rechenmaschinen. Zwischen den Giganten befand sich das „Aquarium“, ein verglaster Kasten, in dem die Techniker saßen. Bei ihnen musste man sich ein Password geben lassen. Als mir der freundliche Kollege erklärte, ich könne mir den Code selbst aussuchen, musste ich als Musiktheaterfan nicht lange zögern. „Oper!“ sagte ich.
Folgenreiches Missverständnis
Als es mit dem Zugang zum Computer später dann aber nicht klappen wollte, musste ich erneut im „Aquarium“ vorstellig werden. Es stellte sich heraus, dass mein Passwort „Opa“ lautete. Die Bühnenwerke von Mozart, Wagner und Puccini spielten in der Lebensrealität des Informatikfachmanns offensichtlich keine Rolle.
Viele Jahre lang habe ich mich im Tagesspiegel-System mit „Opa“ angemeldet. Und es hat mir absolut nichts ausgemacht, denn großväterlich musste ich mich in meinem Beruf als Kritiker nie fühlen. „Bis ich in Rente gehe, werde ich stets unterhalb des Altersdurchschnitts bleiben“, lautete der Spruch, mit dem ich unsere Pop-Redakteurin aufzuziehen pflegte. Die nämlich ihrerseits in rasantem Tempo an dem Publikum vorbeigealtert war, mit dem sie abends vor der Bühne tanzte.
Dann aber brach Corona über uns herein und nach dem Ende der Pandemie kamen die hochbetagten Klassik-Stammgäste nicht wieder zurück. Dafür sah man jetzt viel mehr junge Leute, die nach den Leiden der Lockdowns offensichtlich eine unbändige Lust auf Gemeinschaftserlebnisse verspürten – und dabei auch Sinfonik und Musiktheater für sich entdeckten.
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Mittlerweile gehöre ich manchmal tatsächlich in der Oper schon zur Kategorie Opa. Und doch habe ich damit kein Problem. Im Gegenteil, ich würde am liebsten jeden U30-Besucher persönlich willkommen heißen in diesen Sälen, in denen ich so viele inspirierende Aufführungen erleben durfte. Wenn dann das Licht ausgeht, murmele ich leise in meinen ergrauten Bart: So jung kommen wir nicht mehr zusammen!