Anohni in der Zitadelle Spandau: Ein Abend voller Magie, Hoffnung – und Lob für Angela Merkel
Die Musiker von Anohnis neunköpfiger Band sind allesamt in Weiß gekleidet. Sie sitzen auf Stühlen und bilden ein Halbrund. Es wirkt, als würde auf der Freiluftbühne der Zitadelle Spandau ein Klassikkonzert stattfinden, kein Pop-Event. Wozu auch die mitgebrachten Instrumente passen würden: Flügel, Cello, Violine, Klarinette. Und der Schlagzeuger hat sogar eine Pauke neben sich stehen, die in der Popmusik sonst so gut wie nie Verwendung findet.
Passend dazu sieht die große Sängerin aus wie eine Operndiva. Anohni trägt ein langes schwarzes Kleid, platinblondes Haar und sobald ihre Stimme erklingt, diese fast unwirkliche, überirdische Stimme, die sich höchstens noch mit der von Nina Simone vergleichen lässt, erliegt ihr das Publikum komplett. Ein Teil sitzt auf Stühlen, der andere steht und alle gemeinsam erleben nach einem heißen und schwülen Tag einen Abend voller Magie, der nachhallen wird.
Anohni bringt eine dringliche Botschaft mit
Denn es ist nicht nur die herzzerreißend schöne Musik, die einen in ihren Bann zieht. Es ist die Botschaft, die Anohni mitgebracht hat und der man sich, dargeboten in ungemeiner Dringlichkeit, kaum entziehen kann: „Wir müssen alle zusammenhalten, um die Welt zu einem besseren Platz für uns alle zu machen.“
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Aus einem Popkonzert wird so eine Art Messe, die die Reinigung unser aller Seelen im Sinn hat. In Anohnis Songs geht es um Schuld und Sühne, Schmerz und Hoffnung. „Befreie meinen Geist“, singt sie in „Man is the Baby“ und fleht: „Vergib mir.“ Oder sie stimmt den klassischen Spiritual von Odetta „Sometimes I feel like a motherless child“ an, in dem es darum geht, auch dann nicht aufzugeben, wenn man glaubt, man sei fertig mit seinem Leben.
Die New Yorkerin ist eine queere Ikone
Anohni ist das erste Mal seit acht Jahren wieder in Berlin. Begonnen hat sie ihre Karriere vor 25 Jahren als Antony and the Johnsons, dann benannte sie sich um und war als Solokünstlerin aktiv. In Berlin tritt sie nun auf als Anohni, die sich mit den Johnsons wiedervereinigt hat.
Die New Yorkerin wurde zu einer queeren Ikone, die sich stark macht für Dragqueens und trans Personen. Sie ist nicht nur paradiesvogelartiger Popstar, sondern auch Aktivistin, die ihre Konzerte als Empowerment für die Community begreift. „Das Patriarchat ist keine Lösung“ gibt sie ihrem Publikum etwa mit. Sie sagt das während einer längeren Ansprache. In der taucht Angela Merkel wie eine Art Heilige auf, denn sie habe 2015 Millionen Migranten nach Deutschland kommen lassen. Also in einer Zeit, als alle anderen ihre Grenzen dichtgemacht hätten.
Deutschland sei nun kaum weniger als das gelobte Land, im Gegensatz etwa zu ihrer Heimat, den USA, wo alles immer schlechter werde. Klar, dass sie damit auch ihre Angst formuliert, ein gewisser Donald Trump könnte erneut Präsident der Vereinigten Staaten werden. Deutschland müsse Lösungen für die Gestaltung einer besseren Welt anbieten, so Anohni und richtet sich eindringlich an alle: „Wir brauchen euch.“
Ein bisschen erinnert sie an Julian Nagelsmann
Sie klingt hier dann doch ein wenig zu pathetisch, ähnlich wie der Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft in seiner letzten Pressekonferenz bei der EM, als er sich dank der Kraft des Fußballs ein besseres Miteinander aller Menschen in Deutschland wünschte. Schließlich gibt es zunehmend relevante Kräfte in diesem Land, die Merkels Politik von einst möglichst sofort schreddern möchten, was Anohni weitgehend unerwähnt lässt.
Wenn sie in ihrem Song „Another World“ ihren Wunsch nach einem besseren Ort zum Leben wiederholt, kann man sich fragen, ob sie damit wirklich dieses Deutschland im Sinn hat, das derzeit nicht gerade wie ein Paradies wirkt, in dem sich alle nur gern haben.
Am Ende des Konzerts setzt sie sich noch selbst an den Flügel und intoniert unbegleitet ihr Stück „Hope there’s someone“. Noch so ein Gänsehautmoment an diesem Abend. Und ein Appell an alle, die Hoffnung darauf, dass es doch so kommen könnte, wie Julian Nagelsmann und Anohni sich das wünschen, nicht zu verlieren.