Aller Anfang ist schwer: Mein Start in das Leben als Fußball-Schiedsrichter

Es ist die letzte Minute der Nachspielzeit und es steht unentschieden. Die Gastmannschaft hat den letzten Angriff, der Spieler dribbelt in den Strafraum und fällt. Sofort stürmen alle Spieler auf den Schiedsrichter zu und reklamieren Foulspiel.

Das ist nur eine von circa 200 Entscheidungen, die ich als Schiedsrichter laut dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft in einem Spiel durchschnittlich treffen muss. Und das will gelernt sein: Die Anfangszeit als Schiedsrichter kann sehr hart sein und bringt einige Herausforderungen mit sich.

Ich wollte Schiedsrichter werden, damit ich mich in meinem Lieblingssport engagieren kann, ohne zu viele Verpflichtungen unter der Woche zu haben, wie etwa das Training in einem Fußballverein. Also habe ich mich Frühjahr 2024 online beim Berliner-Fußball-Verband (BFV) für einen Anfänger-Lehrgang im September angemeldet, den jeder Schiedsrichter-Anwärter besuchen muss.

Dort haben wir alles aus den 17 Regel-Kategorien gelernt, aber auch ganz Praktisches: Wie pfeife und kommuniziere ich richtig auf dem Platz? Dabei ist auch die Körpersprache auf dem Platz wichtig. Denn wie du dich bewegst, wie du mit den Spielern sprichst oder wie deine Pfiffe klingen, vermittelt bereits, ob du unsicher bist.

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200

Entscheidungen trifft ein Schiedsrichter pro Spiel

Der Lehrgang dauerte einen Monat, mit zweieinhalbstündigen Kursen zweimal die Woche. Danach mussten wir eine Prüfung ablegen, die aus einem Theorietest und einer praktischen Laufprüfung bestand. In der Theorie-Prüfung wurden uns 15 Situationen vorgegeben, in denen wir jeweils auf die Spielfortsetzung und persönliche Strafe entscheiden mussten. Beim Laufen wurde die Kondition getestet.

Von ungefähr 30 Anwärtern in unserem Lehrgang schafften es nur zehn, die Prüfung direkt zu bestehen. Etwa die Hälfte musste in eine Nachprüfung und vier Anwärter fielen durch. Diese hohe Durchfallquote ist allerdings normal: Auch in anderen Verbänden bestehen viele die Prüfung nicht direkt. Das zeigt, wie komplex diese Prüfungen sind, weil das Regelbuch rund 150 Seiten umfasst, wobei man jede einzelne Regel kennen muss. Dazu waren die Prüfungsfragen oft mehrteilig, manchmal fühlte ich mich an eine Textaufgabe in Mathe erinnert.

Hohe Durchfallquote in der Prüfung

Die Laufprüfung hingegen bestanden alle Teilnehmer. Auch ich habe die 1300 Meter in acht Minuten locker geschafft. Sogar an meiner Schule sind die Laufanforderungen höher.

Anfang Oktober, vor meinem ersten Spiel in Köpenick hatte ich große Angst, Fehler zu machen und von den Spielern kritisiert zu werden. Oder was wäre, wenn es mir gar keinen Spaß macht und ein Monat Ausbildung umsonst gewesen wäre? Immerhin steht Anfängern wie mir ein erfahrener Schiedsrichter-Pate zur Seite, mit ihm bin ich das ganze Spiel über per Headset verbunden.

Manchmal helfen nur noch Karten.

© dpa/Patrick Seeger

Als eine Stunde vor dem D-Jugendspiel in der Kreisklasse B die Mannschaften ihre Kabine bezogen, hatte meine Arbeit als Schiri bereits begonnen: Ich habe die Trainer getroffen und mit ihnen erste Details geklärt, wie etwa die Trikotfarben. Dann habe ich noch die Nummern der Spieler auf meine Spielnotizkarte geschrieben und den Platz kontrolliert. Gespielt wird bei den 12/13-Jährigen noch auf Kleinfeld.

Wichtig ist auch immer, sich über das anstehende Spiel zu informieren: Derbys, Spiele in derselben Tabellenregion oder eine schlechte Vorgeschichte der Mannschaften können es sehr viel schwieriger für den Schiedsrichter machen. Dann geht es auf dem Platz meist sehr viel hitziger zu, es wird mehr gefoult und reklamiert.  

Was das angeht, hatte ich Glück: Mein erstes Spiel war eine sehr einseitige Partie. 0:12 war der Endstand. Dass das nicht immer so harmonisch abläuft, musste ich leider schon bald feststellen.

Zweifel kommen auf

Zwei Wochen später stand ich wieder auf dem Platz. Diesmal pfiff ich ein Landesligaspiel in Lichtenberg. Erst wurden die Kommentare der Trainer immer spitzer, dann färbte ihr Zorn auf ihre Spieler ab. Dabei wusste ich gar nicht so richtig, was ich falsch gemacht haben sollte. Die Spieler der zurückliegenden Mannschaft waren einfach frustriert, regten sich auf und reklamierten ununterbrochen.

Es gab mehrere Gelbe Karten, unter anderem für die Trainer. Für mich war es das erste Mal, dass ich einen Trainer verwarnen musste. Das war schon sehr komisch, einer Person, die locker 30 Jahre älter ist als ich, klarmachen zu müssen, was sie falsch gemacht hat.

Am Ende verlor sein Team 2:4 und sie fanden einen Schuldigen: mich. Ein Elfmeter für die andere Mannschaft, aber auch nicht spielentscheidene Fouls wurden auf die Goldwaage gelegt. Die Kommentare hinter meinem Rücken habe ich natürlich trotzdem mitbekommen. Das kann, vor allem am Anfang, schon sehr belastend sein. Ich hatte daran eine Weile zu knabbern.

17

Kategorien gibt es für die Schiedsrichter-Regeln. Du musst sie alle auswendig können.

Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass es wohl im Hinspiel Stress zwischen den beiden Mannschaften gegeben und niemand wirklich Lust auf die Begegnung hatte.

Direkt nach diesem Spiel musste ich noch ein zweites pfeifen. Das lief ähnlich schlecht, denn ich war im Kopf noch im anderen Spiel. Ich konnte mich nicht konzentrieren und das wirkte sich auf meine Schiri-Leistung aus. Selbst bei Einwürfen lag ich mitunter falsch.

Schiedsrichter haben häufig sehr gute Spiele und trotzdem wird am nächsten Tag in TV-Shows nur über die zwei Fehlentscheidungen diskutiert.

Lennox Schreiter

Auf dem Platz musst du zu hundert Prozent fokussiert sein. Aber das geht eben nicht immer – schließlich sind wir auch nur Menschen. Das verstehen einige Trainer oder Spieler aber leider nicht. Es können 198 von deinen 200 Entscheidungen richtig sein und trotzdem bleiben am Ende die zwei Fehlentscheidungen bei den Spielern hängen.

Das ist ein großes Problem, sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich. Schiedsrichter haben häufig sehr gute Spiele und trotzdem wird am nächsten Tag in TV-Shows nur über die zwei Fehlentscheidungen diskutiert.

In den ersten Wochen als Schiedsrichter hatte ich große Zweifel – wofür das Ganze, wofür höre ich mir immer diese Kommentare an? Klar, ein großer Vorteil ist das Geld: Ich kriege in meiner Altersklasse (C-Jugend) 25 Euro pro Spiel. Und ich kann kostenlos in jedes Stadion Deutschlands gehen, von Kreisliga bis Bundesliga und sogar zum DFB-Pokal.

Inzwischen macht es großen Spaß

Ich kann mich noch erinnern an das Spiel Hertha gegen den HSV im Olympiastadion. Es war ausverkauft, 71.500 Zuschauer haben für eine tolle Stimmung gesorgt. Und das alles kostenlos. Das sind Momente, für die man die blöden Kommentare auf dem Platz auch mal wegsteckt.

Aber mit der Zeit bin ich auch auf dem Platz selbst immer sicherer geworden, habe mehr Autorität ausgestrahlt. Die Spiele wurden einfacher, die Kommentare gingen zunehmend an mir vorbei. Mittlerweile macht mir das Pfeifen sehr viel Spaß. Ich mag es, mit den Spielern und Trainern in den Austausch zu kommen und zu einem ruhigeren Spiel beizutragen.

In jedem Spiel kommen neue Erfahrungen hinzu. Ich versuche immer, mir Tipps von erfahrenen Schiedsrichtern oder Profi-Schiedsrichtern abzuschauen und dadurch auf dem Platz besser zu werden. Deniz Aytekin, der in Deutschland dreimal zum Schiedsrichter des Jahres gewählt wurde, ist eines meiner Vorbilder. Bei einem Interview an der Universität Potsdam hob er hervor: „Egal, wie viel Geld alle Spieler verdienen, alle haben eins gemeinsam: Sie wollen Wertschätzung.“

Deswegen versuchen wir Schiedsrichter mehr Verständnis dafür zu schaffen, dass wir diesen Sport genauso lieben wie alle Spieler, alle Trainer und alle Fans. Wir sind Menschen, Fehler sind normal. Kommt jeder Pass eines Spielers an? Nein. Geht jede Taktik eines Trainers auf? Nein. Wir geben in jedem Spiel unser Bestes und das sollte letztlich zählen.

Für mich war der Weg als Schiedsrichter nicht leicht, aber ich bin daran gewachsen, habe gelernt, besser mit Kritik umzugehen und habe letztendlich auch ein neues Hobby gefunden. 

Der Autor ist 14 Jahre alt und absolviert derzeit ein Schülerpraktikum in der Sportredaktion des Tagesspiegels.