Remake von „Arielle, die Meerjungfrau“: Coming of Age unter Wasser
Von den vielen Geschichten, die der Walt-Disney-Konzern seit den 1930er Jahren in die Welt hinausgetragen hat, ist „Arielle, die Meerjungfrau“ wohl eine der problematischsten: In dem Zeichentrick-Klassiker von 1989 gibt eine (sehr) junge Frau erst ihre Stimme und dann ihre gesamte Familie und Lebenswelt auf, um einen Mann zu heiraten, mit dem sie nie ein Wort gewechselt hat.
Wie will das Unternehmen, das mit Filmen wie „Die Eiskönigin“ oder „Moana“ in den vergangenen Jahren neue Erzählungen jenseits von „glücklich bis ans Lebensende“ gefunden hat, die Story der kleinen Meerjungfrau ins 21. Jahrhundert transportieren?
Lässt sich Prinz Erik womöglich am Ende in einen Meermann verwandeln, um seiner großen Liebe Arielle zu folgen, statt umgekehrt? Oder führen die beiden zumindest ein tiefgehendes Gespräch, bevor sie sich ewig binden?
Rebellion gegen den Patriarchen
Regisseur Rob Marshall („Chicago“) und Drehbuchautor David Magee („Wenn Träume fliegen lernen“) geben ihr Bestes, um der Neuverfilmung zumindest einen Hauch von Emanzipation zu verleihen. Des Öfteren betont Arielle, dass sie eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und nach Unabhängigkeit sei. Der Film will uns weismachen, dass ihr strenger Vater, der König der Meere Triton, Arielle keinen Freiraum lasse und ihre Sehnsucht nach der Welt der Menschen nicht verstehe.
Der Deal mit der Meereshexe Ursula – Arielles Stimme für die menschliche Gestalt – sei folglich ein Akt weiblicher Rebellion gegen den Patriarchen. Doch die Versuche, das Disney-Märchen zu einer feministischen Coming-of-Age-Geschichte umzumodeln, sind zum Scheitern verurteilt. Das Drehbuch hält sich zu brav an die Vorlage, die solch eine Revision einfach nicht hergibt.
Shitstorm gegen die Meerjungfrau
Noch mehr Kontroversen um den Film wollte Disney wohl nicht riskieren. Denn das Arielle-Remake ist bereits seit 2019 heiß diskutiert, als bekannt gegeben wurde, dass die schwarze R’n‘B-Sängerin Halle Bailey die Hauptrolle bekommen würde. In den sozialen Medien ließen sich daraufhin tausende erboster Fans darüber aus, dass die Meerjungfrau schon in der Märchenvorlage von Hans Christian Andersen als hellhäutig und blauäugig beschrieben wird und Disney sich doch bitte an die historische Genauigkeit halten sollte.
Jetzt, wo der Film in den Kinos zu sehen ist, wirken diese rassistischen Diskussionen umso befremdlicher. Vor dem Hintergrund des Feldzugs von Floridas republikanischem Gouverneur Ron DeSantis gegen den „woken“ Disney-Konzern haben sie gerade allerdings auch wieder eine erschreckende Aktualität. Denn Halle Bailey ist geboren, um eine Disney-Prinzessin zu spielen. Mit ihren großen Augen und kindlichen Gesichtszügen sieht die 23-Jährige selbst aus wie eine Zeichentrickfigur, sie strahlt genau die richtige Mischung aus Abenteuerlust, Wärme und jugendlicher Unschuld aus.
Ihre Stimme ist klar und kräftig, und spätestens wenn sie die Power-Ballade „In deiner Welt“ schmettert, weiß jeder: Bailey ist ein Star. Ihre Performance allein macht „Arielle, die Meerjungfrau“ zu einem der gelungeneren Live-Action-Remakes von Disney.
Überhaupt ist der Film hochkarätig besetzt. Javier Bardem mimt den Meereskönig Triton, Melissa McCarthy hat Spaß in ihrer Rolle als die böse Hexe Ursula. Neben Bailey ist der Rapper und Schauspieler Daveed Diggs als Stimme der Krabbe Sebastian der Star des Films. Mit karibischem Akzent meckert Sebastian, vom Meereskönig beauftragt, auf dessen Tochter aufzupassen, vor sich hin, entkommt mehrmals nur knapp dem Kochtopf und sorgt für den nötigen comic relief.
Während seiner Ode an das entspannte Leben unter Wasser „Unten im Meer“ kommt die volle Pracht der CGI-Unterwasserwelt zur Geltung – bunte Fische und Korallen, fluoreszierende Quallen, sanft dahingleitende Schildkröten.
Prinz Erik ist nicht wahnsinnig interessant
Während die erste Hälfte des Films gute Laune und – für die Erwachsenen, die Arielle zuletzt als Kind gesehen haben – Nostalgie verbreitet, zieht sich die zweite Hälfte der 135 Minuten. Das Problem ist dasselbe wie im Original: Der Prinz Erik und das Leben an Land sind einfach nicht wahnsinnig interessant.
Die Filmemacher scheinen sich dessen bewusst zu sein und haben Erik (Jonah Hauer-King) eine Backstory gedichtet – wie Arielle sehnt auch er sich nach einer anderen Welt. In seinem Fall ist das die Seefahrt, die seine Mutter aber für zu gefährlich hält. Trotzdem bleibt der Prinz blass, gerade im Vergleich mit der charismatischen Meerjungfrau. Und Eriks Ballade über die wilden, unentdeckten Meere, die er noch erforschen will, ist purer Kitsch.
Der Song gehört zu den für das Remake neu komponierten Stücken. An der Filmmusik hat Alan Menken, der schon für das Original komponiert und geschrieben hat, gemeinsam mit Lin-Manuel Miranda gearbeitet. Der Einfluss vom „Hamilton“-Erfinder Miranda ist vor allem in „The Scuttlebutt“ zu hören, in dem Awkwafina als die zerstreute Möwe Scuttle und Daveed Diggs als Sebastian ihre Rap-Künste zeigen können.
Der Song gehört zu den unterhaltsameren Momenten der Neuverfilmung. Doch auch er kann die Frage nicht ausblenden, welche Botschaft junge Mädchen heute aus der Geschichte mitnehmen sollen. Egal: Disney wird nicht aufhören, die alten Märchen wieder aufzukochen. Als nächstes ist ein Live-Action-Remake von „Schneewittchen“ geplant – mit einem Drehbuch von „Barbie“-Regisseurin Greta Gerwig. Das lässt zumindest auf eine echte Neuinterpretation hoffen.