Ab nach Walhalla

Eine Horde Krieger pirscht sich an ein Fort heran, bevor sie brüllend zum Angriff übergehen. Die Kraftpakete überwinden die Mauern und mähen sich axtschwingend durch das Dorf, morden, brandschatzen, plündern. Die Kamera weicht ihnen dabei nicht von der Seite. Dieses Schlachtengemälde aus dem Wikingerepos „The Northman“ ist in einem Take gefilmt, vier Minuten dauert die Szene. So mag es Robert Eggers. 25 Mal ließ der Perfektionist den Angriff drehen, bis jedes Detail stimmte.

Der amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und gelernte Szenenbildner hat sich mit gerade mal zwei Filmen als Spezialist für historische Stoffe mit abgründigem Touch etabliert. Sein Low-Budget-Debüt „The Witch“ von 2015, ein atmosphärischer Horrorfilm, angesiedelt im ländlichen Neuengland des 17. Jahrhunderts, war ein Liebling der Kritik und wurde – für einen Arthouse-Genrefilm – auch zu einem veritablen Kassenerfolg.

Nur zwei Filme später darf er mit Budgets im oberen zweistelligen Bereich arbeiten – und zwar nicht wie heutzutage üblich bei vielversprechenden Regisseuren für Marvel, sondern nach einem eigenen Drehbuch (mit Sjón Sigurdsson). Für „The Northman“ konnte er zudem Stars wie Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Ethan Hawke und Anya Taylor-Joy gewinnen. Eggers dreht gerne mit vertrauten Gesichtern: „Damengambit“-Star Anya Taylor-Joy entdeckte er für „The Witch“; Willem Dafoe, der hier einen Kurzauftritt als nordischer Harlekin hat, spielte neben Robert Pattinson die Hauptrolle in seinem zweiten Film „Der Leuchtturm“, einem albtraumhaften Kammerspiel vor der Küste Maines.

Der Regisseur wühlt sich tief hinein in die Epoche, wobei er auf den Isländer Sigurdsson zählen darf, den Autor des Fantasy-Märchens „Lamb“. Ihr Buch greift eine Wikinger-Sage von Saxo Grammaticus auf, die auch als Vorbild für Shakespeares „Hamlet“ diente. Amleth heißt die Hauptfigur der im 13. Jahrhundert niedergeschriebenen Sage. In ihr muss der Königssohn mitansehen, wie sein Onkel (Claes Bang) den Vater (Ethan Hawke) tötet. Der Junge flieht ohne seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman). 20 Jahre später kehrt Amleth, nun gespielt von Skarsgård, als Sklave getarnt an den Hof des Onkels zurück, um Rache zu nehmen.

Wikingerkultur in ihrer ganzen schmutzigen Archaik

Zum dritten Mal arbeitet Eggers mit dem Kameramann Jarin Blaschke zusammen, der die Wikingerkultur in ihrer ganzen schmutzigen Archaik einfängt. Die isländische Insel, auf der ein Großteil der Handlung spielt, ist geprägt von karger Anmut. Nachts lässt der Mond die Landschaft wie in einem Schwarz-Weiß-Film leuchten. Drinnen lodern Fackeln, Schatten tanzen über die Wände. In diesen Momenten weckt der Film noch Erinnerungen an die stilisierte Bildsprache von „Der Leuchtturm“. So konsequent ist die Ästhetik der 90-Millionen-Produktion „The Northman“ jedoch nicht geraten.

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Eggers ist immer dann am besten, wenn er Welten schafft, in denen das Alltägliche und das Märchenhafte wie selbstverständlich ineinanderspielen. Oft deutet er Fährten nur an, bleibt aber im Ungewissen. Auch in „The Northman“ bricht das Sagenhafte in die filmische Realität ein: Eine blinde Seherin (Björk) weist Amleth den Weg, eine Walküre reitet in Richtung des erstaunlich billig computergenerierten Himmelszelts. Doch die Handlung ist von entschiedener Einfalt.

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Alexander Skarsgård ist physisch beeindruckend, das Buch gewährt ihm jedoch keine Gelegenheit, den Kriegerkörper mit Leben zu füllen. Auch die „Liebesgeschichte“ zwischen Amleth und der Sklavin Olga (Ana Taylor-Joy) bleibt nur eine Randnotiz. Es scheint keinen Platz zu geben für Zwischentöne oder gar Humor. Mit seinem unbedingten Willen zur historischen Genauigkeit geht sich Eggers diesmal aber selbst in die Falle.

(In 22 Berliner Kinos, auch OmU)

Gleichzeitig wagt sich seine Wikinger- Archaik auch nicht so weit in den Bereich des Arthouse vor wie Nicolas Winding Refn mit „Walhalla Rising“ (2009), in dem Mads Mikkelsen einen sprachlosen Krieger mit göttlichen Kräften spielt. Refns Mut zur Rätselhaftigkeit geht Eggers völlig ab, die Kompromisse des Blockbusterkinos bleiben stets spürbar. Das Publikum soll nicht mit betontem Kunstwillen verschreckt werden.

Stattdessen packt Eggers lächerliches Pathos in seinen Film. Die Krieger raunen von Ehre und verleihen ihrer Entschlossenheit mit martialischem Geschrei Ausdruck. Das wirkt derart aus der Zeit gefallen, dass irgendwann auch egal ist, welcher matt ausgeleuchtete Muskelberg welchen anderen Muskelberg nach Walhalla befördert. Hinter ihren Bärten und Rüstungen sehen ohnehin alle gleich aus.