Ein Campus macht Karriere
Noch sind nicht alle Schätze umgezogen: Riesige Holzkisten stehen in der Treppenhalle der früheren Museen Dahlem, gefüllt mit wertvollen Objekten, die ab dem 22. September im Humboldt Forum gezeigt werden sollen, wenn das Museum für Asiatische Kunst und das Ethnologische Museum dort ihre Sammlungspräsentation eröffnen.
Eine Etage darüber lagern in flachen Kästen die Materialien, aus denen das Dach des berühmten Palau-Hauses in der Ozeanien-Abteilung neu entstehen soll – wenn die Pandemie endlich die Einreise der Handwerker aus der Inselgruppe im Pazifik zulässt. Denn das mit Schnitzereien reich verzierte Haus soll in traditioneller Technik von Einheimischen gedeckt werden.
Rund 20 000 Objekte wurden seit der Schließung des Sechzigerjahre-Baus für die Öffentlichkeit von 100 Restaurator:innen wissenschaftlich für die Präsentation im wieder errichteten Stadtschloss vorbereitet, in einer „Forschungsstraße“, die sich durch die ehemaligen Ausstellungshallen zieht. In der Forschung liegt auch die Zukunft des Komplexes, der im Nachkriegsberlin eine so wichtige Rolle gespielt hat, als vorübergehende Heimstatt sowohl für die Nofretete als auch für die Alten Meister.
Der FC Dahlem zeigt Sportsgeist
Darum waren Anwohner und Bildungsbürger aus dem Südwesten gar nicht erfreut von der Vorstellung, dass dieser Symbolort künftig nur noch als Depot und Fachbibliothek sowie für Werkstätten genutzt wird. Sie forderten mit Vehemenz, hier zumindest ein Schaufenster für das interessierte Publikum zu schaffen – und fanden Gehör bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Forschungscampus’ kümmert. „FC Dahlem“ nennt sich das siebenköpfige Gremium, zu dem Patricia Rahemipour, die Direktorin des Instituts für Museumsforschung, und Alexis von Poser, der stellvertretende Direktor des Museums für Asiatische Kunst, gehören.
Beim Rundgang durch die ehemaligen Foyers des Neubaus kommen sie sofort ins Schwärmen über das Potenzial der Räumlichkeiten: „Wir müssen nur den ,An’-Schalter umlegen und schon kann es losgehen“, sagt Patricia Rahemipour. In der Tat wirkt technisch alles intakt in dem eleganten Ambiente – und architektonisch ansprechend.
Elegantes Ambiente für den Gedankenaustausch
Da ist zum einen die herrliche Glashalle, in der sich einst die Kassen, die Geraderobe und der Museumsshop befanden. Und zum anderen der große Veranstaltungssaal, den man über eine der typischen schwebenden Treppen erreicht, wie sie Fritz Bornemann auch für die Deutscher Oper Berlin entworfen hat. Das Untergeschoss ist kein düsterer Keller, sondern verfügt ebenfalls über eine breite Fensterfront.
An den Vorraum schließt sich der Saal an, mit eleganter heller Holzvertäfelung und blau bezogenen Sitzen. Der kann ebenso für Kinovorführungen wie für Vorträge genutzt werden, es gibt sogar einen Backstage-Bereich sowie eine Teeküche für die Pausenverköstigung. Und weil natürlich auch ausreichend Fluchtwege und Toiletten vorhanden sind, unterliegt der Publikumsverkehr keinerlei Einschränkungen.
Hier sollen also, sobald die Pandemie es zulässt, die Forscher mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten. Die Auftaktveranstaltung war eigentlich für Ostern geplant, ein erstes Ausstellungsprojekt ist fertig konzipiert. Patricia Rahemipour träumt gar von einer Art deutschem „Barbican Centre“. So wie in dem Londoner Kulturzentrum soll hier fächer- und genreübergreifend gedacht und diskutiert werden.
Die lichten Hallen, die weitläufigen Terrassen, die man im Sommer als Café nutzen kann, bieten in der Tat ideale Bedingungen für das, was die Fachleute „soziale Kohäsion“ nennen. Gemeint ist damit das gute, alte „Kultur für alle“-Konzept. Denn das „Schaufenster“ des Dahlemer Forschungscampus soll sämtlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz offenstehen, für Aktionen, die sie in ihren eigenen Häusern aus Platz- oder Logistikgründen nicht realisieren können. Außerdem ist eine Zusammenarbeit mit der gleich um die Ecke gelegenen Freien Universität auf den Weg gebracht.
Bei der Erschließung des Gebäudekomplexes fährt der FC Dahlem zweigleisig. Zum einen treibt er geduldig den bürokratischen Prozess voran, zusammen mit dem für die Immobile zuständigen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Von der Potenzialanalyse über die Machbarkeitsstudie und die Kostenprognose bis zur konkreten Umsetzung dürfte es noch viele Jahre dauern.
Sehr inspirierend waren die Workshops mit Architektur-Studierenden der Technischen Universität, die Visionen für den Gebäudekomplex entwickelt haben, berichtet Alexis von Poser. Weil es den jungen Leuten vor allen darum ging, Räume zu schaffen, in dem man sich gerne aufhält, als Forschende wie als Besucher.
Restauratoren bei der Arbeit beobachten
Von dem langfristigen Umbauprojekt abgekoppelt sieht der FC Dahlem die kleinen Formate, die unter den gegebenen Umständen jetzt schon möglich sind. Wie Diskussionen, Filme, Vorträge und Ausstellungen, die zeigen, dass sich jedes Objekt aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten lässt. Und natürlich soll es bald auch möglich sein, den Restauratoren bei der Arbeit zuzusehen.
Dass die Arbeit des FC Dahlem bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wertgeschätzt wird, zeigt sich daran, dass für den Forschungscampus Dahlem nicht nur ein internationaler wissenschaftlicher Beirat berufen, sondern auch eine Geschäftsstelle geschaffen wurde. Die neu eingestellte Kollegin unterstützt nun in der Alltagsorganisation den Kreis der sieben Projektentwickler, die sich alle ehrenamtlich neben ihren Funktionen in der Stiftung engagieren.
Und auch eine eigene Website sowie ein Logo hat der Campus bereits. Graphisch ganz schlicht gehalten, windet sich auf blauem Untergrund ein schwarzes Band um vier Begriffe: Kulturen, Forschen, Dinge, Wissen. Was zunächst verwirrend erscheint, erweist sich als vielfach miteinander kombinierbares Quartett.
Museen sind immer Schaufenster
Denn es geht sowohl darum, Kulturen zu erforschen als auch anderen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, Objekte aus ihrer Kultur zu untersuchen, die in den Dahlemer Depots aufbewahrt werden. Und es gehört ebenso zu den Zielen des Forschungscampus, Fakten zu sammeln, wie unterschiedliches Fachwissen über die Dinge zusammen zu führen.
Museen, das wird im Gespräch mit Patricia Rahemipour und Alexis von Poser deutlich, sind eigentlich immer nur Schaufenster für die Öffentlichkeit. Meistens kann lediglich ein Bruchteil der Bestände in den Sälen gezeigt werden, und auch 95 Prozent der Arbeit des Fachpersonals findet hinter den Kulissen statt. Je weiter die Sensibilität im Umgang mit dem kolonialen Erbe verfeinert wird, desto komplexer werden beispielsweise die Fragestellungen, mit denen sich die Wissenschafter:innen konfrontiert sehen.
Wie soll man bei der Digitalisierung von Akten aus dem 19. Jahrhundert vorgehen? Ist es noch angemessen, das damals übliche Vokabular wortwörtlich zu übernehmen oder sollte man Begriffe, die heute als hate speech gewertet werden, besser in den Texten schwärzen? Derzeit tendieren die Berliner Museumsleute dazu, auf der Website jeweils einen „Disclaimer“ aufploppen zu lassen, bevor man ein Dokument öffnen kann, also eine Hinweistafel, die deutlich macht, dass es hier um Inhalte geht, die die Gefühle bestimmter Zielgruppen verletzen könnten.