Der Soundtrack dieser Stadt
Der Soundtrack aus hundert Berliner Jahren? Da ist gleich klar, dass es sich bei „Berlin, du coole Sau!“ um eine Show handelt, die lockdownbedingt seit dem Groß-Berlin-Gedenkjahr 2020 auf Aufführung wartet. Umso schöner, dass sie nun im merklich von Frischluft durchströmten Tipi am Kanzleramt steigen kann. Bürgermeister Müller ist auch da. Ist ja sein Thema.
Das Bühnenkonzept kann sich gern einbürgern: zwei tolle, sich nicht nur abwechselnde, sondern auch miteinander agierende Solistinnen und ein schmissiges Orchester. Sharon Brauner ist mit ihren Liederprogrammen Stammgast in Bar und Tipi, nicht so Meta Hüper.
Sie spielt mit Till Brönner und Max Raabe
Die kennt man weniger als Swing- und Chansonsängerin, sondern als Violinistin. Durch ihre Zusammenarbeit mit Till Brönner und vor allem durch Max Raabes Konzerte, wo sie als Geigensolistin des Palast-Orchesters auftritt. Beim Capital Dance Orchestra, dessen jazzige und rockige Klangfarben das funkelnde Pfund des Abends sind, wirkt sie als Co-Director.
Gesangs-Sparringspartnerin Brauner zeichnet wiederum für Idee und Regie verantwortlich.
Den Auftakt der zwischen 1920 und 2020 komponierten Liederparade macht eine Instrumentalversion von „Ein Lied geht um die Welt“. Zu „Wir machen Musik“ aus Helmut Käutners gleichnamigem Revuefilm treten dann die beiden Ladys auf. Die brünette Brauner in goldglitzerndem Weiß, die blonde Hüper in silberglitzerndem Schwarz – gemeinsam bieten sie in sich allmählich bis zu Jeans und Lederjacke modernisierenden Outfits ein schickes Bild.
[Tipi am Kanzleramt, bis 8. August, Sa 20 Uhr, So 19 Uhr]
Das reißt dann mit Vorsatz die dritte Dame runter: Auftritt der proletarisch sozialisierten Klofrau Adele. Die Herz-mit-Schnauze-Ureinwohnerin liefert mit Geschichten aus den Eingeweiden städtischer Amüsiertempel von Haus Vaterland bis Berghain den moderativen Rahmen.
Ordentlich Bizeps hat die Jahrzehnt um Jahrzehnt einem biblischen Alter zustrebende Kittelschürze zwar. Und stetig wechselnde Perücken. Doch Adeles Dialekt ist stärker als ihre lacherfreien Texte. Da hilft es nichts, dass mit Michael Kargus ein aus „Cabaret“ bewährter Conférencier in ihren Puschen steckt. Auch die beiden Einlagen der Burlesque-Tänzerin Lola La Tease, die Zwanziger-Verruchtheit verströmen soll, laufen ins Leere.
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Was zieht, ist die Musik. Etwa wenn Meta Hüper Marlene Dietrichs zu Tode genudelte Nummer „Ich bin von Kopf bis Fuß“ melancholisch auf der Singenden Säge zu Klavierbegleitung streicht und Hildegard Knefs „Berlin, Dein Gesicht hat Sommersprossen“ intoniert. Oder, wenn Brauner und Hüper auf Jiddisch von den „Bublichki“, dem Gebäck singen, das Ostjüdinnen einst im Scheunenviertel verkauften.
Die Idee, den Song „Loveparade“ nicht als Techno-Version, sondern als kabarettistisches Couplet im Nostalgiegewand aufzuziehen, sticht ebenso wie die druckvolle Rockversion des Ideal-Klassikers „Ich steh auf Berlin“ und die Soulschlagerattitüde von „Coole Sau Berlin“. Keine Frage: Diese Stadt hat Spitzenlieder hervorgebracht.