Hey Monster, ruf mich an
Angst vor dir. Zerschmettert. Jedes Wort fühlt sich an wie eine Bombe. Du bist ein Monster. Du hasst dich. Manche sagen, dass du immer nur deinen Willen durchsetzten willst. Ruf mich an.
Was hier beschrieben wird, klingt stark nach einer toxischen Beziehung. Es ist der beunruhigende Auftakt von Anikas eben erschienenem zweiten Soloalbum „Change“. Und im sich anschließenden Song „Critical“ geht es gleich so weiter: „I always give my man the last word/ I always give him what he deserves“.
Das erste Album nahm Anika mit der Band Beak auf
Der Mann bekommt immer das letzte Word und was er will. Doch dann ist da plötzlich von einem kleinen Twist die Rede, von Zyanid. Und Anika singt: „He who sees his ego/ May not see through/ May not see you/ But I see through him/ I see through him.“
Sie durchschaut den Typ mit dem großen Ego also. Man glaubt ihr das sofort, weil sie selbst die verstörendsten Zeilen mit einer blutgefrierenden Dominanz vorträgt. Ihre Stimme, die ihr zu Recht immer wieder Vergleiche mit Nico eingebracht hat, gehört nicht zu den strahlendsten im Pop. Aber genau das leicht Unkonventionelle macht es so fesselnd, der 34-Jährigen zuzuhören, die eigentlich Annika Henderson heißt.
Die Deutsch-Britin arbeitete in den nuller Jahren als Journalistin und Promoterin zwischen Bristol und Berlin. Nach einem Treffen mit Geoff Barrow von Portishead engagierte dieser sie als Sängerin für seine experimentelle Krautrockband Beak. Allerdings erschien das gemeinsam in zwölf Tagen live aufgenommene Album 2010 dann unter dem Namen Anika.
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Es bestand größtenteils aus Coverversionen von Folk- und Popsongs aus den Sechzigern, die die Band in reduzierte Düster-Welten überführte. Darunter war etwa eine Dub- Adaption von Bob Dylans „Masters Of War“ und eine auf Drumcomputer und Orgel-Loop runtergedimmte Version von Greta Anns „Sadness Hides The Sun“. Auch Anikas eigene Stücke wie das sprechsingend vorgetragene „No One’s There“ lebten von einer sparsamen Instrumentierung, einem rohen Sound und Anikas kühler Alt-Stimme.
Zehn Jahre später hat sich dieses Konzept, entsprechend des Veränderung versprechenden Titels der Platte, leicht verschoben, dringt aber weiterhin durch. Die deutlichste Neuerung ist, dass nun alle Songs und Texte von Anika selbst stammen. Außerdem steht ihr Gesang weiter vorn im Mix und klingt weniger verwaschen. Bass und Schlagzeug sind weiter die prägenden Instrumente – etwa in den beiden erwähnten Eröffungsstücken.
Der Refrain von „Critical“ klingt dabei wie eine Hommage an den Drum and Bass aus Bristol Mitte der neunziger Jahre. Dabei ist das Album diesmal nicht mit den dort ansässigen Beak-Mitgliedern entstanden (wiewohl es wieder bei Geoff Barrows Label Invada Records erscheint), sondern zwischen Berlin und Brandenburg.
Ende 2019 zog Anika zu zwei Künstlerinnen in die Nähe von Beelitz, weil sie nach langen Touren ein bisschen runterkommen wollte. Sie hatte viel Platz für ein Studio, was in der gentrifizierungsgeplagten Hauptstadt zu einer Seltenheit geworden ist. Hier nun konnte sie sich ganz auf ihre Platte konzentrieren, über die sie sagt, sie sei „ein Auskotzen von Emotionen, Ängsten, Ermächtigung und Gedanken wie ,Wie kann das weitergehen?’“.
Dabei entfesselt Anika immer wieder hypnotische Grooves wie etwa in „Naysayer“ oder in dem sexuell aufgeladenen „Rights“, das in einem krachenden und fiepsenden Finale mündet. Mantrahafte Text-Wiederholungen spielen in den neun Songs eine wichtige Rolle. Bei „Freedom“ – einem von zwei Spoken-Word-Stücken – ist es die Zeile „I’m not being silenced by anyone“, die Anika immer wieder aufgreift und leicht variiert, als gelte es, sich selbst dieses Versprechen in den Kopf zu hämmern.
Diese Wiederholungsschleifen entfalten eine unterschwellige Sogwirkung, zu der auch die klare Produktion beiträgt, bei der Anika der schwedische Musiker Martin Thulin geholfen hat. Er ist zudem an Bass und Schlagzeug zu hören. Die beiden kennen sich von der gemeinsamen Band Exploded View, mit der sie zwei Alben veröffentlich haben – einer von vielen Gründen, warum Anika mehr als zehn Jahre brauchte, um einen Nachfolger für ihr Debütalbum fertigzustellen.
Es hat sich gelohnt, dass sie drangeblieben ist, denn auf „Changes“ tritt nun zum ersten Mal ihre ganz eigene musikalische Vision zu Tage – und die ist nicht nur kraftvoll und mitreißend, sondern auch mutmachend. So besingt Anika im Titelstück zu feinen Synthieflächen und einem leicht verstolperten Schlagzeug-Puls ihren Glauben an die Wandlungsfähigkeit von Menschen. Nachdem sie zwei Dutzend Mal gesungen hat „I think we can change“ kommt man beim Hören kaum umhin, ihr Glauben zu schenken – und den Rest des Tages mit einem „Change“-Mantra im Kopf herumzulaufen.