Die Salzburger Pfingstfestspiele proben die Normalität
Als im vergangenen Sommer die Salzburger Festspiele der noch nicht besiegten ersten Pandemie-Welle trotzten, gab es durchaus auch kritische Stimmen. Doch nachdem Dank eines ausgeklügelten Hygienekonzepts alles gut ging, wurde der Salzburger Festspielsommer, der auch künstlerisch alles andere als eine Schmalspurversion war, als ein Fanal der Hoffnung gefeiert.
Was dann kam, ist bekannt: Erneuter Lockdown, länger und quälender als der erste. Und nun prescht schon wieder Salzburg vor, und zwar mit einer echten Punktlandung: Seit 19. Mai gelten in Österreich Lockerungen, die unter strengen Bedingungen auch Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen erlauben, und schon zwei Tage später konnte am Freitag das Festival starten.
Ausgezeichnete Kontakte zur Politik
Man darf annehmen, dass die ausgezeichneten politischen Kontakte der Noch-Festival-Präsidentin Helga Rabl-Stadler an dieser glücklichen „Fügung“ nicht unerheblich beteiligt waren.
Von Normalität kann jedoch auch in Österreich noch längst keine Rede sein, verglichen mit vergangenem Sommer sind die Regelungen rigider und umständlicher. Wer aus Deutschland einreisen will, muss vorab eine elektronische Registrierung, genannt „Pre-Travel-Clearance“ ausfüllen.
In Österreich angekommen gilt sowohl für Gastronomie als auch Veranstaltungen die sogenannte 3-G-Regel, Einlass wird überall nur nachweislich getesteten, genesenen oder geimpften Personen gewährt. Die Antigen-Schnelltests sind 48 Stunden, PCR-Tests 72 Stunden gültig.
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Bei der Ankunft am Salzburger Hauptbahnhof begrüßen dann auch tatsächlich Polizisten die Ankommenden gleich am Bahnsteig, um sowohl die Registrierung als auch den 3-G-Nachweis freundlich aber bestimmt zu prüfen, gleiches gilt für das Hotel.
Die Eintrittskarten sind personalisiert und werden mit dem mitzubringenden Ausweis überprüft, ebenso der 3-G-Nachweis, die Säle dürfen nur zu 50 Prozent im Schachbrettmuster besetzt sein, außerdem sind FFP-2-Masken auch während der Veranstaltung Pflicht.
Keine Pause und keine Getränke
Die Programme werden ohne Pause und gastronomischen Service gegeben, um 22 Uhr machen die Lokale dicht. Das alles ist eigentlich nicht gerade einladend, die Stadt wirkt auch ungewohnt leer, trotzdem ist die Karten-Nachfrage groß und die Stimmung vorsichtig euphorisch.
Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser gibt zu: „Ja, wir haben schon eine gewisse Übung darin, aber ich kann nicht verhehlen, dass es auch eine gewisse Ermüdung gibt am dauernden Umplanen und Modifizieren. Es ist auch nicht besonders vitalisierend, relativ wenige Zuschauer im Publikum zu haben.“
Die ersten Live-Momente sind großartig
Dennoch sind die ersten, nach bald sieben stillen Monaten erlebten Live-Momente überwältigend, fast befremdend in ihrer Intensität: Händels frühes Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“ (Der Triumph der Zeit und der Ernüchterung) hebt mit eher verhaltenen Klängen des Spezialisten-Ensembles Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano an, im Sängerquartett wirken insbesondere die beiden Männerstimmen Lawrence Zazzo (Disinganno) und Charles Workman (Tempo) eigenartig tastend, als müssten sie Balance und Intonation in einem halb besetzten Saal erst wieder neu lernen.
Mezzo-Diva Cecilia Bartoli, die seit 2012 die künstlerische Leitung der Pfingstfestspiele verantwortet, hat das Programm unter das Motto „Roma aeterna“ gestellt und sich den Spielplan – wie gewohnt und auch gewollt – erneut selbst auf den Leib geschneidert. Im von Robert Carsen brillant und zugleich berührend als Casting-Show inszenierten Oratorium tritt sie selbst als Piacere (Vergnügen) im knallroten Hosenanzug auf.
Töne wie aus gesponnenem Gold
Anderntags dirigiert Zubin Mehta ein gediegenes Programm mit dem Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino und dem Geiger Maxim Vengorov, der bei den ersten Takten von Mendelssohns Violinkonzert ein ganz eigenes Tempo anschlägt, als müsse auch er sich an ein Zusammenspiel erst wieder gewöhnen.
Mit Tönen wie aus gesponnenem Gold dringt seine Stradivari leicht bis in die letzte Reihe des riesigen Festspielhauses, ein Phänomen, das man nun umso intensiver und körperlicher wahrnimmt. Unmittelbar ins Rückenmark fährt dann die volle Orchesterbesetzung bei Respighis „Pini di Roma“.
Abends dann der Mozart
Abends gibt es Mozarts „Titus“ wiederum mit den Alte-Musik-Spezialisten unter Capuano, Bartoli hat eine betont leichtgewichtige Besetzung gewählt, die mit ihrer eigenen, mitunter körperlos flirrenden Interpretation des Sesto harmoniert. Ihre bekannten Manierismen – endlos zelebrierte Piani, gehämmerte Koloraturen in Maximaltempo – treibt sie zwar mittlerweile auf die Spitze, aber das Publikum liebt das Gesamtkunstwerk Bartoli offenbar gerade ob dieser Eigenwilligkeiten.
Und nachdem John Eliot Gardiner aus Quarantäne-Gründen nicht einreisen konnte, ersetzt Bartoli das geplante geistliche Konzert mit einem inszenierten Barock-Arien-Konzert „What passion cannot music raise“, das sie allein – wieder mit Capuano und seiner Truppe – bestreitet und zu einer plüschigen Kostüm-Schau ausstaffiert. Bleibt bei aller Freude über die beglückenden Live-Erlebnisse die Frage, ob weniger Bartoli nicht doch mehr wäre?