Zarter Stahl: Die Berliner Bildhauerin Gisela von Bruchhausen ist tot

Es braucht Mut, um sich ins Abseits zu stellen. Die Gruppe Odious hat dies Anfang der 1980er Jahre getan, allein schon mit ihrem Namen, der aus dem Englischen übersetzt verhasst oder abscheulich bedeutet. Ein Grund war Provokation, natürlich.

Gleichzeitig lenkte man den Blick aber auch auf das Abseitige, Nonkonforme in der Stahlbildhauerei – und entschied sich zur Verwendung bereits definierter Materialien. Ihren Werkstoff holte sich die Gruppe von Schrottplätzen: Bleche, Stäbe, Gitter oder Vierkanteisen bestimmten die Gestalt der Plastiken. 

Gisela von Bruchhausen war dabei, als sich Odious formierte. Zusammen mit Klaus Duschat, David Lee Thompson und anderen Studenten an der heutigen Universität der Künste (UDK) schloss sie sich zum Kollektiv zusammen. Eine Entscheidung, die in der Hochphase künstlerischer Solisten geradezu unerhört klang: Zuhören, im Team arbeiten und gemeinsam Gestalterisches zu entwickeln, gehörte nicht eben zu den Tugenden der damaligen Szene. 

Gisela von Bruchhausen: „Step-between“, eine Stahlskulptur von 2007.

© Gisela von Bruchhausen, VG Bild-Kunst, Bonn 2025 | Foto: Jörg von Bruchhausen

2013, da feierte Odious sein 30. Jubiläum mit einer Ausstellung im Georg Kolbe Museum, erinnerte sich die Künstlerin in einem Interview an jene Zeit. Es gab großartige Kooperationen, doch daneben arbeitete jeder auch für sich allein an Fragen, die ihm das Material und die Bildhauerei stellten. 

Auf den Punkt kommen

Für Gisela von Bruchhausen ging es um das Zusammenfügen. Darum, den Punkt zu finden, an dem sich das Einzelne mit dem Übrigen kompositorisch verbindet. Die Konstruktion ist eine Folge innerer Notwendigkeiten im Wechselspiel mit Licht und Raum, die innere Spannung jedes ihrer Werke eine logische Konsequenz. Dass sie dem Stahl dazu die Schwere nimmt und er zu schweben beginnt, wirkt wie Magie.

Nach einem Jahrzehnt mit Fundstücken schwenkte die Künstlerin um und griff nach „frischem Stahl“, den sie vorgefertigt bezog oder im Atelier nach ihren Vorstellungen bearbeitete. Farbe anstelle der Rosthaut, fein akzentuiert, auf ein Blau, Rot oder Grau beschränkt und auf sparsamste Weise individuell interpretiert. Der Stahl ist der Star, die Bildhauerin seine Vollenderin.

Ihr Werk aus über vierzig Jahren ist beeindruckend gewachsen. Auch ohne die Gruppe Odious, deren Mitglieder sich nach dem Mauerfall zerstreuten. Gisela von Bruchhausen, die sich erst mit Ende dreißig nach einer Ehe und der Geburt dreier Söhne für ein Studium der Kunst entschied, zog nach Lehnin in ein weiträumiges Atelier. Hier entstanden Plastiken, Reliefs und Collagen, die 2022 in der Berliner Galerie Kajetan zu sehen waren. 

Modular und voller Kontraste

„Gisela von Bruchhausen|Contained“, so der Titel der Schau, versammelte Arbeiten eines Jahrzehnts. Auffallend viele Wandarbeiten waren darunter, ihre Sprache modular und auf Kontrasten basierend. Vieles wirkte fragiler als jene schweren Stahlskulpturen, mit denen sich die Künstlerin, die 1987 als Assistentin von Anthony Caro im Workshop Stahl in der Bildhauerwerkstatt Berlin wirkte und später selbst Lehraufträge an der UDK wie in der chinesischen Metropole Hangzhou absolvierte, einen Namen gemacht hat.

Doch immer noch belegte die Ausstellung eindrucksvoll die Konsequenz der Künstlerin im Umgang mit ihren zentralen Themen: Gewicht, Dynamisierung, Rhythmus und Spannung.

Bis vor wenigen Wochen noch galt ihre volle Konzentration dem Werkverzeichnis. „Stahl Skulpturen“ ist im Kehrer Verlag erschienen, die ersten Exemplare wurden gerade ausgeliefert, das zweibändige Werk begleiten Texte von Christian Malycha, Herann Wiesler und dem langjährigen Partner der Künstlerin, Robert Kudielka. Kurz danach, am 22. Dezember, ist Gisela von Bruchhausen in Berlin gestorben, sie wurde 85 Jahre alt.