Horror und Humor : Graphic Novel „Die Balkanroute“: Reem Helou hat ihre Flucht gezeichnet
Mitten im Albtraum duftet es nach Erdbeeren. Das Schlauchboot zwischen der Türkei und Lesbos ist voll Wasser, der Motor stockt, alle sitzen in Todesangst gedrängt. „Und dann musste ich schmunzeln“, erzählt Reem Helou. „Eine Freundin hatte, wie von den Schleppern verlangt, Gepäck abgeworfen, aber nicht ihre Bodylotion.“ Lächeln gegen Panik und Erstarrung, laut Trauma-Psychologen ein Segen.
In der Graphic Novel, an der die gebürtige Syrerin Reem Helou seit acht Jahren parallel zum Alltag in Berlin arbeitet, finden sich viele dieser absurd wirkenden Szenen zwischen Heulen und Humor. Die heute 39-jährige Bühnenbildnerin und Illustratorin nimmt ihre Leserschaft mit auf den Roadtrip dreier Frauen zwischen Leben und Tod, inmitten vieler junger Männer und Familien. Für die in Mitte wohnende Künstlerin aus Damaskus gab es 2015 keine andere Option als die Flucht vor allen „nur denkbaren Arten von Ungerechtigkeit und Tod“. Sogar der Bewacher eines Checkpoints in Syrien ist da neidisch, sieht man auf einem Bild: „Steck uns doch mit in die Tasche. Ich würd gerne mal Borussia Dortmund live erleben.“

© Reem Helou
Reem, Sarah und Dana wurden, wie vielen Flüchtlingen, wohl gefälschte serbische, kroatische, französische und deutsche Personalausweise und Pässe präsentiert. Sie fragten sich: Warum entscheidet nur eine Plastikkarte darüber, ob ich als Mensch unter Bomben oder im Frieden leben darf? Helou floh 25 lange Tage und 25 Nächte, davon viel zu Fuß. Der letzte geliebte Verwandte, von dem sie sich verabschiedet, ist am 24. September 2015 ihr kleiner Bruder. Ankunft im neuen Leben in Berlin: 17. Oktober 2015, 2.30 Uhr.
Ihre Schwester überlebte Israels Angriff auf Damaskus durch Glück
Ihre Schwester, die in Damaskus lebt und in einem Gebäude gleich neben dem Verteidigungsministerium arbeitet, hat die israelischen Bombenangriffe am Mittwoch, 16. Juli 2025, nur dadurch überlebt, dass sie an diesem Tag krank war und nicht zur Arbeit konnte.
Alles mit Fotos und Google-Maps-Screenshots zu dokumentieren, gab der Künstlerin Halt. „Auch, wenn wir auf den letzten Etappen fast bewusstlos waren vor Müdigkeit und Erschöpfung.“
Für die finale Realisation der Doku des Frauen-Roadtrips in die Freiheit, die Graphic Novel „Die Balkanroute“, fehlen aktuell rund 2200 Euro. Bis zum 31. Juli läuft eine Spendenkampagne auf der Online-Plattform Startnext, um Geld für die Übersetzung, digitale Bearbeitung, Druck und Versand zu sammeln. Vielleicht finde sich mittelfristig ein Verlag.

© Reem Helou
Im vorigen Leben, in Syrien, hat Helou als Kostüm- und Szenenbildnerin gearbeitet, an Buchprojekten und Zeitschriften für Kinder mitgewirkt, wie von 2008 an für das „Osama’s Children’s Magazine“ vom Kulturministerium der Assad-Regierung in Damaskus. „Man konnte nicht mit mehr Einnahmen rechnen als Zigaretten für zwei Wochen kosten, egal wie berühmt oder hochrangig ein Zeichner war“, erzählt sie.
Dank des guten Verhältnisses zur Chefredakteurin ließ ihr diese beim Zeichnen, Gestalten und der Wahl der Technik ihrer Comics freie Hand. „Bei meiner Arbeit als Bühnenbilderin hatte ich solche Freiheiten nicht. Viele Dinge waren nicht verhandelbar, wie die künstlerische Vision des Regisseurs oder die Anzahl der, auch berühmten, Schauspieler.“ Das Theater sicherte den größten Teil des Einkommens, als Illustratorin fand sie ein Ventil.

© Reem Helou
Und jetzt die Graphic Novel beenden. „Die Farben für den Himmel entsprechen dem Gefühl für den Ort darunter.“ Vom matten Ocker Damaskus’ über hellbblauem UN-Zelt-Himmel in Osteuropa bis Grau Berlins. Das Buch liest sich wie im Arabischen, und bei Mangas, aus hiesiger Sicht verkehrt herum, von hinten nach vorne und von rechts nach links. Alles spiegelverkehrt umzustellen hat sie versucht, aber das sah nicht gut aus. „Außerdem ging auch die Strecke von Osten nach Westen, von rechts nach links“, fügt Helou hinzu. Durch die Geschichte führt ein auktorialer, also allwissender Erzähler, „meine innere Stimme“.
Sie weiß auch von „Mord und Tod in all seinen seltsamen und unfassbaren Formen“ in Syrien. Der Film von Rainer Werner Fassbinder, „Angst essen Seele auf“, auch das kenne sie.

© privat
In Berlin fühlt sie sich manchmal niedergeschlagen, die Absagen nach Bewerbungen. Oder wegen Arbeitsbedingungen für Freie beim Film, als sie mal in einem riesigen Gebäude mutterseelenallein ein Modell bauen musste, oder Möbel schleppen. Aber: Sie hat schon ganz anderes geschafft.