Wird Gérard Depardieu „gecancelt“?: Ein offener Brief spaltet Frankreichs Kulturszene
Das Vokabular im aktuellen französischen Kulturkampf nimmt an Schärfe zu. Nachdem Kulturministerin Rima Abdul Malak Frankreichs Schauspiel-Ikone Gérard Depardieu vorletzte Woche bereits eine „Schande“ für die Grande Nation genannt hatte, konterte ihr Präsident Emmanuel Macron ein paar Tage später und outete sich als „großer Bewunderer“ Depardieus. Die zahlreichen Vorwürfe von ehemaligen Kolleginnen nannte er eine „Menschenjagd“.
Die nächste Eskalationsstufe zündete am zweiten Weihnachtstag ein öffentlicher Brief von über fünfzig Prominenten aus der französischen Kulturszene, darunter die ehemalige First Lady Carla Bruni, Charlotte Rampling, Nathalie Baye, Jacques Dutronc, die Polanski-Gattin Emmanuelle Seigner, Pierre Richard, der Operntenor Roberto Alagna und die Schriftstellerin Catherine Millet.
Sie bezeichnen die Demontage Depardieus als „Lynchmord“ an einer „Kultfigur des Kinos“, den man nicht länger schweigend hinnehmen könne. „Wer Gérard Depardieu auf diese Weise attackiert, greift auch die Kunst als solches an.“
Es geht um den „Tod der Kunst“
Es ist nicht das erste Mal, dass die französische Filmszene sich so stark in einer kulturellen Debatte positioniert, die sich um die Vorwürfe sexueller Gewalt und sexuellem Machtmissbrauch dreht. (Viele der sechzehn Frauen, die sich zuletzt mit Vorfällen aus den vergangenen dreißig Jahren öffentlich gemeldet haben, waren zum Tatzeitpunkt deutlich jünger und unbekannter als der Schauspieler.)
Vor fünf Jahren veröffentlichten über hundert Frauen, darunter Catherine Deneuve und Catherine Millet, einen umstrittenen Gastbeitrag in „Le Monde“, in dem sie vor einer „Kampagne der Denunziation“ infolge der MeToo-Diskussionen nach den Enthüllungen um den US-Produzenten Harvey Weinstein warnten.
Im Dezember 2023 klingt der Tonfall ganz ähnlich. Die Depardieu-Verteidigung erschien, wie schon ein offener Brief des Filmstars Anfang Oktober, in der konservativen französischen Tageszeitung „Le Figaro“. Es geht in dem Schreiben um nicht weniger als den „Tod der Kunst“.
MeToo-Fälle in Macrons Kabinett
Damit sind die Verteidigungslinien in dieser Diskussion gesetzt. Im Ringen um das Image Depardieus, der in über 200 Filmrollen „Frankreich bekannt gemacht hat“ (Macron), stehen sich zwei Fraktionen gegenüber, die für das junge und für das alte Frankreich stehen. Übrigens saßen bzw. sitzen(!) auch in Macrons Kabinett mit dem ehemaligen Umweltminister Nicolas Hulot, Innenminister Gérald Darmanin und Damien Abad – Minister für Solidarität – MeToo-Fälle.
Und natürlich gilt auch im Fall von Gérard Depardieu die Unschuldsvermutung. Der hat es im Laufe der Jahre aber selbst Fans immer schwerer gemacht, ihm noch zu verzeihen – nicht zuletzt im Licht einer TV-Dokumentation, die Anfang Dezember im französischen Fernsehen lief. Darin sagt er Sätze wie: „Mach mal ein Foto von uns, während ich ihren Arsch berühre! Ihre kleine Fotze ist sicher ganz pelzig, schön behaart, sie riecht schon nach Stute.“ Inzwischen traut man dem ehemals liebsten Rüpel der Nation so einiges zu.
Die Gerichte haben dem vermutlich tatsächlich wenig entgegenzusetzen. Viele der Taten, die Depardieu vorgeworfen werden, sind längst verjährt, und die Beweisführung ist bei sexuellen Verbrechen oft schwierig. Aber gerade wurde in New York der aufstrebende Hollywood-Schauspieler Jonathan Majors für eine Tätlichkeit gegen seine Freundin zu einem Jahr Haft verurteilt.
Im Schreiben der französischen Kolleginnen und Kollegen heißt es angesichts der massiven Vorwürfe dagegen nur lapidar: „Das ist halt Gérard.“ Eigentlich wie schon seit Jahrzehnten. Zumindest den Depardieu-Unterstützern nach zu urteilen, könnte es so noch ewig weitergehen.