Geteiltes Land : Ausstellung über die Grenze zwischen Deutschland und Polen

Der deutsche Begriff der Grenze, der in Europa vor allem im Sinne der Abschottung unrühmliche Urständ feiert, ist ein Lehnwort aus dem Altpolnischen. „Grenze“ kommt von „Granizza“. Ein geteiltes Wort also, eine Begegnung der Sprachen, grenzüberschreitend.

Die Ausstellung „Vom Teilen. Kunst an der (polnisch-deutschen) Grenze“ im ZAK Zentrum für aktuelle Kunst in der Zitadelle Spandau widmet sich dem Doppeldeutigen und den vielschichtigen Aspekten des Teilens. Geht es um Trennung oder gemeinsamen Besitz? Um Austausch oder Trennendes? Um Grenzüberwindung oder Grenzziehung? 

Geschichte der deutsch-polnischen Grenze

In Kooperation mit dem Nationalmuseum in Poznan präsentieren die Kuratorinnen Burcu Dogramaci und Marta Smolińska Werke von 28 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die den Begriff und die Erfahrungen vom Teilen sowie politische, persönliche oder humanitäre Grenzfragen beleuchten, durchdringen und konterkarieren.

Michael Kurzwelly erweitert den Grenzbegriff durch die Kreation gleich einer ganzen neuen Stadt und setzt sich mit anarchischem Humor über geografische und territoriale Machtgepflogenheiten und Machtansprüche hinweg. Das Zentrum des fantastischen Słubfurt – dem Zwischenland im polnisch-deutschen Grenzgebiet von Słubice und Frankfurt/Oder – ist eine Jurte, beflaggt und kartografisch verortet inmitten der Staaten Szczettinstan, Terra Incognita, Lebuser Land und Schlonsk, wie zwei Landkarten an den Eingängen des nomadischen Zelts versinnbildlichen.

Eine Jurte als Machtzentrum

Willkommen in „Nowa Amerika“! Das großartige und partizipative Projekt, das der Aktionskünstler seit 1999 entwickelt respektive gegründet hat, ist im Ausstellungskontext als Installation mit Videos, Insignien wie Fahnen oder einer staatsmännischen Büste zu sehen.

Auf der Außenhülle der Jurte gruppieren sich kleine Monitore mit Videos von urbanen Stadträumen, einsam struppigen Landschaften und von Menschen, die miteinander diskutieren oder singen, wie der deutsch-polnische Chor, der die Nowa Amerika-Hymne in beiden Sprachen anstimmt. Menschen krähen, denn das Wappentier des wiedervereinten Słubfurt ist der Hahn.

Das Innere der Jurte umkreisen vierzehn Videos, in denen Menschen aus unterschiedlichsten Regionen der Welt traditionelle Weisen singen. Wobei die Stimmen und Töne so geschickt versetzt oder überblendet sind, dass ein intensiv mäandernder Sound entsteht. Grenzenlose Verständigung ohne Kakophonie.

Sich wandelnde Grenzen

Die Wandelbarkeit von Grenzen im Laufe der Jahrhunderte visualisiert Simona Kochs Werk „Grenzen/Europa“. Auf bleigrauem Hintergrund formieren sich weiße Linien zu Konturen, die sich wieder auflösen, neue Markierungen zeichnen, die ebenso vergehen oder nebulöse Schatten werfen, um sich dann wiederum in raschen kurzen Striche wie wimmelndes Gewürm zu verdichten. In ihrer wandfüllenden Videoprojektion zieht Koch mit animierten Bleistiftzeichnungen auf der Basis historischer Karten Demarkationslinien, die die europäischen Länder in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart geprägt, verschoben, vergrößert und verkleinert haben. Eine abstrakte Imagination der in der Realität wechselvollen Historie des Kontinents.

Der Engel der Geschichte hat ausgedient, ist in Georgia Krawiecs „Dichotomie der Nester“ zum Gespenst geworden, zum Schutzgeist bestenfalls. In im Raum verteilten Stereoskopen sehen wir Menschen in ihren Küchen auf einem Stuhl sitzen, neben dem ein zweiter steht. Auf dessen scheinbarer Leere schälen sich langsam Schemen einer weiteren Person heraus. Mit einer Lochkamera fotografierte Verwandte der Künstlerin, die sich selbst zwar zu ihnen gesellt, aufgrund der langen Belichtungszeit aber kein deutlich verbindendes Pendant darstellt.

In den Fotografien verläuft die Grenzlinie, gleich derjenigen Schlesiens, mitten durch die Aussiedlerfamilien auf der westlichen Seite und ihre in Polen verbliebenen Familien auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs. Geschichten von Teilung, die gemeinsame Erfahrungen bis heute auch traumatisch macht.

In Sonja Rammers am Boden liegender Europakarte aus Glas scheinen tektonische Verschiebungen die Staatsgrenzen zu verrücken und zu überlagern, während Paul Pfarr Baumstämme fotografiert hat, um die Stacheldraht wie eine Kletterpflanze rankt und sich tief in die Rinden frisst.

Der Berliner Künstler Fabian Knecht hat für sein Video die Demarkation von China nach Nordkorea mit Feuerwerksraketen überwunden und eine Landkarte des deutsch-syrischen Künstlers Manaf Halbouni ordnet „Das Protektorat Bayern“ farbig neu und übersät es mit arabischen Schriftzeichen. „What If?“ heißt die Serie, die uns der kühnen Vorstellung überlässt, wie ein Europa unter einer arabischen Kolonialmacht aussehen würde und welche Teilmengen es gäbe.