Ausverkaufte Klassik in Berlin: Glücksgefühle im Gewühle
Es gibt nichts Schöneres als eine ausverkaufte Vorstellung. Den Künstlern gibt es einen Extra-Kick, wenn sie sehen, dass die Leute ihnen die Bude einrennen, aber auch uns, dem Publikum, beschert der Blick in den restlos gefüllten Zuschauerraum ein erhebendes Gefühl. Weil hier sichtbar wird: Wir Klassikfans sind viele! Keine aussterbende Minderheit, wie man uns gerne weismachen will.
Am Dienstag war ich bei einem Sold-Out-Abend in der Deutschen Oper und habe eine musikalisch exzellente Aufführung von Giuseppe Verdis Requiem erlebt (es war Christian Spucks Tanzversion für das Staatsballett Berlin). Ich saß ganz hinten im Parkett – und hatte von meinem Platz 38 in der 22. Reihe einen fantastischen Panoramablick auf 1000 kulturbegeisterte Mitmenschen – und weitere 800, wusste ich, saßen über mir auf den Rängen und in den Logen.
Wunderbar wogende Menschenmenge
Was war das für eine wunderbar wogende Menge! So laut war das vorfreudige Summen und Brummen um mich herum, dass nicht einmal die offizielle „Handy aus, bitte!“-Ansage bis hier hinten durchdrang. Als dann aber die Lichter gelöscht waren, breitete sich sofort eine aktive Stille aus, war die kollektive Konzentration körperlich zu spüren.
Oft, sehr oft durfte ich dieses Glücksgefühl in den letzten Monaten erleben. Wo ich hinkam, waren die Säle bestens gefüllt. 270 000 Besucherinnen und Besucher kamen in dieser Saison allein in die Deutsche Oper. Bei der Komischen Oper sind es „nur“ 162 000, was aber einer Auslastungsquote von fast 93 Prozent entspricht. Denn im Ausweichquartier des Schillertheaters stehen 45 Prozent weniger Plätze pro Vorstellung zur Verfügung als beim Nachbarn in der Bismarckstraße.
Beim Berliner Institut für Kulturelle Teilhabeforschung hat das offenbar noch keiner gemerkt. Die Forschenden behaupten in ihrer jüngsten Studie, die Besuchshäufigkeit sei in allen Bevölkerungsgruppen um 40 Prozent gegenüber 2019 gesunken, die kulturelle Teilhabe habe sich also nach der Pandemie „nicht wieder erholt“. Diese Daten wurden allerdings im Sommer 2023 erhoben, die Wissenschaft arbeitet nun einmal gründlich, aber langsam. Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und voll des Opernhauses Raum.