„Ballett der Massen“: Haus der Kulturen der Welt lädt zum Fußball-Festival
„Oh Zinédine, oh Zinédine, nicht das, nicht das, nicht das, nicht das, Zinédine! Oh nein, nicht das, nicht heute, nicht jetzt, nicht nach allem, was du getan hast!“ Die Moderation von Fußballspielen kann klingen wie Poesie oder wie ein Dada-Gedicht. Der nigerianische Kommentator Ernest Okonkwo erfand für jeden Spieler, je nach seinen Eigenschaften auf dem Spielfeld, eigene Namen: „langsames Gift“, „Vorsitzender“, „Quecksilber“.
Eine Kostprobe dieser Fußballkommentatoren-Alltagspoesie liefert eine Klanginstallation, die ab Freitag im Haus der Kulturen der Welt zu hören ist (Führung und Rundgang, So 9. Juni, 12 Uhr). „Ballett der Massen“ nennt sich ein Festival begleitend zur Fußball-EM, das an diesem Wochenende im HKW startet und bis zum Ende des Turniers läuft.
Terrassenkonzert und Gesänge im Stadion
Der Titel „Ballett der Massen“ ist vom sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch geklaut, der sich bei Fußball gut entspannen konnte und die ästhetischen Qualitäten des Spiels bewunderte. 1930, im zarten Alter von 23 Jahren, komponierte er das satirische Ballettstück „Das Goldene Zeitalter“, in dem eine sowjetische Fußballmannschaft gegen eine westliche antritt und die Musikstile der konkurrierenden Ideologien von Walzer über Foxtrott bis zum proletarischen Marsch ihr Fett wegkriegen.
Auch im HKW spielt die Musik eine Rolle. Am Freitag gibt es auf der Terrasse ein Konzert von Meiway & The Zo Gang und ein DJ-Set von Hanaby (7. Juni, ab 20.30 Uhr).
Der beliebteste Sport der Welt kann wunderbar integrativ sein, auf der anderen Seite produziert er Ausschlüsse und Diskriminierung. Im temporären, stadionförmigen Pavillon des britisch-nigerianische Designers Yinka Ilori, der vor dem HKW aufgebaut ist, geht es um verbindende Gesänge im Stadion, aber auch um Rassismus etwa durch diskriminierende Rufe, die noch allzu oft von den Rängen erschallen. Auf dem Dach des HKW gibt es am Sonntag (9. Juni, 13 Uhr) einen Body-Drumming-Workshop für alle, die mit brasilianischen Rhythmen aus Samba und Capoeira experimentieren wollen.
Macht, Geld, Widerstand
Wie sich die Politik im Fußball bemerkbar macht, wird etwa in der Diskussion „Capital Entanglements, Modes of Resistance“ zur Sprache kommen (Sa, 8. Juni, 17-19 Uhr). Es geht um die kommerziellen Seiten des Fußballs, um die Spur des Geldes und im Gegensatz dazu um emanzipatorische Bewegungen etwa in Iran und der Türkei, die sich der Verwertung und der politischen Vereinnahmung widersetzen.
Es diskutieren unter anderem der in Algerien lebende Fußballjournalist und Podcast-Host Maher Mezahi, der sich mit den Querverbindungen zwischen Geschichte, Politik und Sport auf dem afrikanischen Kontinent beschäftigt und der französische Journalist Mickaël Correia, der kürzlich das Buch „Nicht alles ist verloren – 15 Gründe, Fußball trotzdem noch zu lieben“ herausgebracht hat.
Gerade im Rahmen einer Europameisterschaft tauchen im Laufe des Festivals auch Fragen nach „Zugehörigkeit, Rassifizierung und Nationalstaat“ auf (So 23. Juni, 14 – 16 Uhr). Kann man sich eine postnationale Zukunft vorstellen und wird die auf dem Spielfeld sogar schon erprobt? Und wie verhält sich die vage Hoffnung auf eine andere Welt zur zunehmenden Fremdenfeindlichkeit in vielen europäischen Ländern? Auf dem Podium sitzen unter anderem der israelische Historiker und Autor Moshe Zimmermann und die türkische Kulturanthropologin und Fußballforscherin Yağmur Nuhrat.
Vormerken kann man sich schon mal die Performance des Künstlers Eddie Peake. Der 1981 geborene Brite interessiert sich für das implizite Drama von Beziehungen, ob familiäre, romantische, berufliche oder sexuelle Verbindungen. Seit 2012 organisiert er Fußballspiele, bei denen die Spieler nackt sind, nur mit Kniestrümpfen und Schuhen bekleidet. In London, Paris und Neapel hat er bereits zu solchen Spektakeln eingeladen.
An jedem neuen Ort bekommt die Performance einen neuen Namen, in Berlin heißt sie „Portent“. Fünf nackte Spieler treten jeweils gegeneinander an, es wird ernsthaft gespielt, nicht nur performativ gekickt. Kichern ist erlaubt, schließlich soll man sich bei dem Anblick mit der Ernsthaftigkeit und Albernheit von Männlichkeit auseinandersetzen.