Einsam auf vier Saiten: Henning Sieverts und sein Album „Bassolo“
Die Kunst des unbegleiteten Solos stellt jedes Instrument vor andere Herausforderungen. Offensichtliche Problemfälle wie die Maultrommel, die dennoch staunenswerte Virtuosen wie den Chinesen Wang Li hervorgebracht hat, kämpfen mit einer Monotonie, gegen die ein Klavier oder eine Orgel von vornherein gewappnet sind.
Am schwersten haben es vielleicht Instrumente, die ihrem Äußeren nach mehr versprechen, als sie halten können: Die vier Saiten, die sich über den Steg eines Kontrabasses wölben, taugen in der Praxis höchstens zur Zweistimmigkeit in Doppelgriffen. Zum Singen und Klingen aber gelangen sie vor allem in einstimmigen Linien und Melodien.
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Wie hält man damit allein auf weiter Flur die Aufmerksamkeit wach? Wie organisiert man Abwechslung? Und vor allem: Wie entlockt man dem Kontrabass eine Musik, die über das bloße Staunen über die Zähmung des widerspenstigen Ungetüms hinausgeht? Erstaunlicherweise sind die Antworten auf diese Fragen geradezu explodiert.
Das Solo als Königsdisziplin
Seit Barre Phillips 1968 mit „Journal Violone“ das erste Solobassalbum des Jazz aufnahm, verstehen mehr und mehr Musiker und Musikerinnen dieses einsame Geschäft als Königsdisziplin. Von der Versenkung in die natürliche Schönheit tiefer Schwingungen bis zum Versuch, das Instrument über seine technischen Grenzen, vertrauten Klänge und drei Oktaven hinauszutreiben, wie ihn Mark Dresser mit akrobatischer Fingerfertigkeit und unter das Griffbrett montierten Tonabnehmern unternimmt, gibt es kaum etwas, das es nicht gibt.
Henning Sieverts, 1966 in Berlin geboren und seit langem in München zu Hause, zählt eher zur ersteren Kategorie. In der rund 150 Titel umfassenden Diskografie, die er in den vergangenen 30 Jahren angesammelt hat, unter anderem im Trio Symmethree mit Nils Wogram an der Posaune und Ronny Graupe an der Gitarre, fehlte nur noch eben jene Bewährungsprobe, die er nun mit „Bassolo“ abgelegt hat. In der Aufnahme aus der Münchner Auferstehungskirche sind zwölf Stücke zu hören, darunter Miles Davis‘ „Solar“, der Standard „Alone Together“ und das schon von Louis Armstrong gespielte Traditional „Saint James Infirmary“.
Der Rest sind improvisatorisch erweiterte Eigenkompositionen unterschiedlichen Charakters, deren Struktur Sieverts freimütig erläutert. Hier eine Meditation auf Quintenbasis, dort eine Studie auf der Grundlage von rasant fallenden und aufsteigenden Terzen, hier wiederum die Entwicklung einer Zwölftonreihe mit B-A-C-H als Ausgangspunkt. Das meiste wird gezupft, einiges auch gestrichen, und obwohl sich das Akkordische durch die Zerlegung ins intervallische Design nur andeuten lässt, verliert man nie den Boden unter den Füßen: Großzügiges Arpeggieren ist der Trost des harmonisch eingeschränkten Bassisten.
Jede Komposition lebt so von ihrer eigenen kleinen Formel. Doch was sich etüdenhaft anhört und, wenn man allein dem grauen Notentext folgen würde, den Sieverts für seine Studierenden anbietet, gewiss auch so spielen ließe, erwacht unter seinen Händen zu etwas Funkelndem und Pulsierenden.
Die Kraft dieser so einfachen wie raffinierten Musik liegt in ihrer Ruhe, im vibratogetränkten Aushören des einzelnen Tones, der im Nachhall des Kirchenraums zauberisch lange steht. Nicht von ungefähr heißt ein durchgängig mit dem Bogen gespieltes Stück „Kraftruhe“. Wer Freundschaft schließen mit der einzelgängerischen Klangmacht dieses Instruments, der findet in „Bassolo“ einen verlässlichen Begleiter.