Richard Ford zum 80. Geburtstag: Die Lage des Landes

Dieser Satz könnte von jeder Mutter und jedem Vater überall auf der Welt stammen; er könnte in jeder Familie fallen, in der es nicht um die nackte Existenz geht, in der aber auch die Beschäftigung mit sowas Brotlosem wie Literatur nicht unbedingt auf großes Verständnis trifft: „Wann suchst du dir endlich eine Arbeit und legst los?“, soll Richard Fords Mutter Edna in den späten siebzigern Jahren zu ihrem Sohn gesagt haben.

Ford war da schon Mitte dreißig und Literaturdozent in Princeton, und mit „Ein Stück meines Herzens“ und mit „Verdammtes Glück“ hatte er auch schon zwei Romane veröffentlicht.

Manchmal bleiben solche Muttersätze einfach hängen, auch weil Ford zwar eine gewisse Anerkennung im literarischen Betrieb gefunden hatte, ein größerer, nicht zuletzt ökonomischer Erfolg aber ausgeblieben war. Also legte der schon erwachsene Sohn los, suchte sich eine Arbeit, und zwar als Sportreporter beim „Inside Sports“ Magazine. Von Erfolg war dieser Job jedoch ebenfalls nicht gekrönt. Dafür schrieb Ford dann einen Roman über einen Sportreporter und einstigen Schriftsteller. Sein Name: Frank Bascombe.

Amerikanischer Jedermann

Und dieser Bascombe, der hat Richard Ford bis zu seinem jüngsten, im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienenen Roman „Valentinstag“ begleitet – trotz mancher Krisen, die beide zusammen hatten, manchem Entschluss des Autors, dass es jetzt einmal gut sei mit seinem ewigen Helden.

Frank Bascombe ist ein amerikanischer Jedermann, der aber auch in Europa eine gute Figur abgeben würde. Er kämpft sich in die Mittelschicht herein und schlägt sich dann mit Mittelschichtproblemen herum, schult vom Sportreporter zum Immobilienmakler um, einen dann sogar recht erfolgreichen, lässt sich scheiden, muss den frühen Tod eines Sohnes verkraften, sieht einem weiteren Sohn wie in „Valentinstag“ bei dessen körperlichen Verfall wegen einer schweren neurologischen Erkrankung zu.

Chronist des modernen Amerikas

Gern wird Richard Ford als Chronist des modernen Amerikas bezeichnet, als ultimativer Autor der US-amerikanischen Gegenwart. Man könnte da auf den Gedanken kommen, dass es die großen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen vierzig, fünfzig Jahre sind, die in seinen Romanen und Erzählungen eine entscheidende Rolle spielen, dass Amokläufe, Terroranschläge oder Umweltkatastrophen Bascombe ins Alter begleiten.

Doch ist dem kaum so, all das leuchtet im Hintergrund zwar immer mal kurz auf. Ford geht es jedoch vielmehr um die „wirkliche Wirklichkeit“ oder das „neue Normale“, so wie in „Frank“, dem vierten Bascombe-Roman heißt. Das Leben, heißt es hier einmal, sei vor allem „etwas Wimmelndes, Verwirrendes, gefolgt vom Ende“.

Das Leben, ein Wimmelbild

Und dieses Wimmelnde, von den Schwierigkeiten in den jeweiligen Beziehungen bis zum Prostatakarzinom, von den Shopping-Malls über die Annehmlichkeiten und Tristesse der Suburbs bis zu den Malaisen auf Amerikas Nationalstraßen, gehört unverrückbar zu Bascombes Wesen, zu den Betrachtungen der ihm eigenen Wirklichkeit. Das Wimmelnde kennzeichnet seinen ständigen Bewusstseinsstrom, den Ford ihm gewährt.

Aber es gehört genau so zu den vielen anderen Figuren dieses Schriftstellers. Ford wird zwar in der Regel mit seinem Dauerhelden assoziiert und gewann mit dem Bascombe-Roman „Unabhängigkeitstag“ 1996 die großen amerikanischen Literaturpreise (PEN Faulkner Award, Pulitzer Prize). Er ist aber ebenfalls ein wahrhaft großartiger Short-Story-Autor.

Wie Bascombe zeichnet diese Figuren, seien es in seinen „Rock-Springs“-Erzählungen, seien es die aus den Ehebruchsgeschichten von „Eine Vielzahl von Sünden“, eine gewisse Einfalt aus, ein gewisser Gleichmut den Unfährnissen des Daseins gegenüber. Aber immer sind sie zu klugen Reflexionen in der Lage.

Sie lassen sich treiben, wissen immer etwas weniger, als sie gerade formulieren und beginnen in stillen Momenten zu philosophieren „über die Dinge, die uns alle bedrohen“, über die Zeit, in der so vieles passiert „und wir nur einen lachhaft unbedeutenden Bruchteil davon erfahren“, über das Leben, „das im besten Fall eine kaum wahrnehmbare Einheit darstellt“.

Natürlich spricht hier der Autor aus eigenen Erfahrungen. 1944 in Jackson, Missisippi geboren, verlor Ford im Alter von 16 Jahren seinen Vater, musste mit seinen nach Glück strebenden, oft erfolglosen Eltern viel hin und her zwischen Missisippi und Arkansas, ohne dass er seine Kindheit als eine unglückliche bezeichnen würde. Er studierte in Kalifornien, lebte in New Orleans, an der Ostküste und inzwischen wieder mit seiner Frau Kristina in New Orleans.

„Oft bemerkt uns die Welt nicht“, hat Ford in einem wunderbaren kleinen Buch über seine Eltern geschrieben, „Zwischen ihnen“. Diese Einsicht sei ihm sein ganzes Schriftstellerleben immer „ein entscheidender Antrieb“ gewesen. Dass daraus großartige Literatur werden kann, hat er zur Genüge bewiesen.

An Ford und seinen Romanen und Erzählungen führt nichts vorbei, wenn es um die amerikanische Gegenwartsliteratur geht. Das will lediglich die Schwedische Akademie in Stockholm nicht wahrhaben, die ihm seit Jahren konsequent den Literaturnobelpreis verweigert. Wie kann man dem begegnen? Vermutlich nur mit dem Gleichmut eines Frank Bascombe. Am heutigen Freitag feiert Richard Ford seinen 80. Geburtstag.