Staatsballett Berlin: Einstand von Christian Spuck mit „Bovary“
Der Ehemann in schwarzem Anzug sitzt wie erstarrt auf dem Stuhl, neben ihm steht das Dienstmädchen. Im Hintergrund reckt eine Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern die Köpfe. Doch welch grausames Schauspiel sich vor den Augen von Charles Bovary und den Dorfbewohnern von Yonville abspielt, bleibt dem Publikum in der Deutschen Oper verborgen.
Christian Spuck, der neue Intendant des Staatsballett Berlin, stellt mit „Bovary“ seine erste Kreation für die Compagnie vor. Bei seiner Bühnen-Adaption von Gustave Flauberts berühmtem Roman „Madame Bovary“ beginnt er mit dem Ende. Emma Bovarys qualvollen Todeskampf, nachdem sie sich mit Arsen vergiftet hat, ist hier nur in seiner literarischen Darstellung zu erleben.
In dem Textausschnitt, gelesen von Marina Frenk, wird geschildert, wie die tragische Heldin eine schwarze Flüssigkeit erbricht. Spuck aber zeigt die gaffende Menge. Seine Emma ist hier ständig den Blicken einer voyeuristischen Gesellschaft ausgesetzt.
Später wird in „Bovary“ auch schon mal eine Kamera auf der Bühne eingesetzt, die Nahaufnahmen der Tänzerin Weronyka Frodyma zeigt. Die Volksbühnen-Ästhetik der Castorf-Ära ist mit Verspätung auch im Tanztheater angekommen. Doch die Live-Bilder fügen den tänzerischen Aktionen kaum etwas hinzu.
Emma Bovary ist neben Anna Karenina die berühmteste literarische Ehebrecherin. Spuck kombiniert in seinem Stück Text, Tanz, Musik und Video auf eine nicht immer ausbalancierte oder ausgekügelte Weise. In jeder Szene sind unterschiedliche Ebenen eingezogen. Wiederholt sind kurze Romanausschnitte zu hören.
Diese Fragmente belegen auch die sprachliche Meisterschaft Flauberts; sie regen zur Lektüre des Romans an. Doch oftmals ist der sprachliche Ausdruck stärker als die tänzerische Gestaltung. Auch die Musik trägt wesentlich zur Dramatisierung des Geschehens bei. Auszüge aus den Klavierkonzerten von Camille Saint-Saëns kontrastiert Spuck mit modernen Werke von Györgi Ligeti, Thierry Pécou und Arvo Pärt.
Emma langweilt sich in der Ehe mit dem spießigen Landarzt Charles Bovary. Sie träumt von aufregenden Liebesabenteuern und einem luxuriösen Lebensstil. Um der Öde des Provinzlebens zu entkommen, flüchtete sie sich in Affären. Ihre Vorstellung von Liebesglück hat sie aus den kitschigen Romanen, die sie als Klosterschülerin verschlungen hat. Emma ist eine Gefangene ihres Wunschdenkens.
Spuck zeigt seine Protagonistin immer nur in Beziehung zu wechselnden Männern. Im Duett mit dem Ehemann (Alexei Orlenco) versteift sich Emmas Körper, doch gefügig hakt sie sich immer wieder ein bei Charles. Im Pas de deux mit ihrem Liebhaber Léon, dem Alexandre Cagnat durchaus Charme verleiht, blüht die frustrierte Emma auf – und übernimmt bald den aktiven Part. Sobald er sich entfernt, läuft sie zu ihm und wirft sich in seine Arme.
Obsession für Hebefiguren
Wenn sie den Avancen des Verführers Rodolphe erliegt, ist sie eher passiv. David Soares strapaziert hier arg die Draufgänger-Klischees. Bei den Pas de deux wird Spucks Obsession für Hebefiguren deutlich, doch die Duette ähneln sich zu sehr. Und nicht immer kann man romantische Exaltation und sinnlichen Rausch unterscheiden; Lustempfindungen werden der liebeshungrigen Heldin hier durchaus zugestanden.
Bei den Ensembleszenen erweist sich Spuck als geschickter Arrangeur. Wenn die fünf Honoratioren die verzweifelte Emma belauern und bedrängen, macht er Anleihen beim expressionistischen Film. Fünf Tanzpaare verkörpern die Fantasien und inneren Konflikte von Emma. Deren nüchternes Idiom hebt sich stark von den schwärmerischen Pas de deux ab.
Christian Spuck setzt in seinem Tanzstück oft stilistische Kontraste ein, zieht verschiedene Ebenen ein. Doch eine überzeugende Umsetzung des Stoffes gelingt ihm nicht. Weronyka Frodyma aber beeindruckt. Sie stürzt sich rückhaltlos in die Rolle und schafft es am Ende doch noch, etwas von den Seelennöten der Figur zum Ausdruck zu bringen.