London Gallery Weekend: Ein neuer Stern am Himmel
LGW steht für die Kunstwelt künftig wohl nicht mehr vorrangig für den von Billigairlines genutzten Flughafen London Gatwick, sondern für das London Gallery Weekend. Mit über 120 Galerien nennt es sich stolz die größte Veranstaltung dieser Art. Während etwa in Berlin das Gallery Weekend von Beginn an auf Exklusivität setzte und aktuell rund 50 Teilnehmer hat, setzen die Briten auf Inklusion.
Diese erstaunliche Kooperation von Groß und Klein drückt sich auch im Preismodell aus. Newcomer zahlen 600 Pfund, die größten Teilnehmer 3.300 Pfund für ihre Teilnahme. Die Kosten sind so niedrig, weil die personalstärkeren Galerien fast die gesamte Arbeit in Eigenleistung übernehmen. Erst seit diesem Jahr gibt es eine feste Stelle beim LGW. Die Verschärfung der Insellage Londons in der internationalen Kunstszene durch den Brexit sei weniger das Motiv für die Gründung des Gallery Weekend gewesen, erklärt dessen Initiator Jeremy Epstein von der Galerie Edel Assanti. Vielmehr sei ihm zusammen mit einigen Kollegen während des Covid-Lockdowns klar geworden, wie essenziell die persönliche Begegnung mit Kunst und mit Menschen sei. Außerdem sei es auch wichtig, neben der Messe Frieze im Herbst ein zweites großes Event im Jahr zu haben.
„Hardcore“ in der Galerie Sadie Coles
Das ganze Spektrum der Szene ist vertreten. Vor allem mit dem oberen Ende kann auf dem Kontinent ohnehin kaum jemand mithalten. Die kunsthallengroße Galerie des Gagosian-Imperiums prunkt mit einem Abstraktionsfeuerwerk von Künstler:innen wie Tauba Auerbach über Albert Oehlen oder Gerhard Richter bis Christopher Wool, mit dem sich locker eine New Yorker Abendauktion bestreiten ließe. Am anderen und für den zeitgenössischen Diskurs sicher interessanteren Ende stehen die kleinen und jungen Galerien in den Außenbezirken Hackney und Shoreditch. Gerade erst vor einem Jahr ist etwa die A. I. Gallery dorthin gezogen, nachdem sie vorher das als eine Art Club, Mietgalerie und Co-Working-Space positionierte Somerset House genutzt hatte.
Ein roter Faden zeitgenössischer Kunstproduktion ist Identität in sämtlichen Facetten. Die eindrücklichste Ausstellung ist Sadie Coles gelungen. Die Gruppenausstellung „Hardcore“ mit Arbeiten von Monica Bonvicini, Miriam Cahn, Cindy Sherman Bob Flanagan oder Sheree Rose macht ihrem Titel alle Ehre und lotet Tiefen und Untiefen menschlicher Sexualität aus bis hin zu Körpermodifikationen und Schmerzerfahrungen. Was Berliner Alltag und Clubszene so hergeben, ist in London in künstlerischer Reflexion zu sehen.
Neben öffentlichen Performances an verschiedenen Orten in der Stadt gibt es ein VIP-Programm mit zahllosen Atelierbesuchen und Einblicken in private Sammlungen. Jede Galerie konnte unabhängig von Größe und finanziellem Beitrag drei Sammler einladen, denen ebenso wie Kuratoren und Journalisten Hotelzimmer gestellt werden.
Stefan Kobel schreibt seit langem über den Kunstmarkt und beobachtet, wie sich in Großbritannien seit dem Brexit entwickelt.