Djokovics Weg vom erfrischenden Neuling zum verbissenen Einzelgänger
Nun geht es also um ein Kreuz. Nicht um jenes Kreuz, an das dem christlichen Glauben nach Jesus geschlagen wurde. Und mit dem Vater Srdjan Djokovic seinen Sohn Novak kühn verglichen hatte, weil diesem vor einer Woche die Einreise nach Australien verwehrt und dieser für zweieinhalb Tage in ein Abschiebe-Hotel in Melbourne gebracht wurde. Es geht vielmehr um ein Kreuz, das der serbische Tennis-Superstar unter Punkt 2 seines Einreiseformulars gesetzt hatte.
Und während ihn seine zumeist serbisch-stämmigen Fans in Melbourne und in der Heimat auf den Straßen als Volkshelden, Freiheitskämpfer und Märtyrer frenetisch feiern, stößt sich der Rest der Welt mal wieder an diesem Mann, der so unbedingt der beste Tennisspieler aller Zeiten sein, aber vielmehr noch von allen geliebt werden möchte und letztlich vor allem eines macht: Er polarisiert.
Die obligatorische Frage der australischen Behörde, ob man 14 Tage im Vorfeld des Fluges bereits gereist war, kreuzte Djokovic mit „Nein“ an. Doch die Antwort ist nicht korrekt. Der 34-Jährige hatte vor seinem Abflug in Belgrad eine Zeit lang in Marbella trainiert und die Bilder in den sozialen Netzwerken selbst verbreitet.
Dabei ist dem Einreiseformular bei Punkt 2 extra ein Hinweis beigefügt und warnt, dass falsche Angaben ein ernstes Vergehen sind und geahndet werden. Sogar mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr. Wer schon einmal nach Australien geflogen ist, weiß, wie streng die Vorgaben sind und dass die Grenzbehörde absolut keinen Spaß versteht.
50 Minuten lassen Serbien jubeln – vorerst
Nun könnte dieses kleine Kreuzchen Djokovic doch noch zum Verhängnis werden, obwohl Richter Anthony Kelly am Sonntag seinem Einspruch gegen die Ausweisung stattgegeben hatte. Allerdings hatte Richter Kelly dem Weltranglistenersten nicht in der Sache Recht gegeben – also dass dessen Corona-Genesung und die dazu beigefügten medizinischen Unterlagen als Ausnahmebegründung für die Einreise korrekt waren – sondern aufgrund von Formfehlern der australischen Grenzbehörde.
Diese hatte den Protokoll-Aufzeichnungen nach Djokovic am Flughafen am Donnerstagmorgen bis um 8.30 Uhr Zeit gegeben, seine Belege für die Ausnahmegenehmigung vorzulegen. Sie gab ihm aber nur bis um 7:40 Uhr Zeit. Wegen dieser 50 Minuten feiert ganz Serbien den „großen Sieg gegen Australien“. Wohl etwas zu früh.
Denn nun hat Djokovic also selbst einen Formfehler begangen, obwohl er behauptet, seine Dokumente wären vom australischen Tennisverband Tennis Australia ausgefüllt worden. Australiens Einreiseminister Alex Hawke hat sich seit dem Urteil von Sonntag das Recht vorbehalten, dennoch sein Veto einzulegen und Novak Djokovic sein Visum erneut zu entziehen und den Tennisstar nach Hause zu schicken. Der Minister werde „die Angelegenheit gründlich prüfen“, sagte ein Sprecher.
Djokovic indes tut so, als wäre gar nichts geschehen. Der neunmalige Melbourne-Sieger trainierte direkt nach dem Urteil abgeschottet in der Rod-Laver-Arena und postete optimistische Botschaften: „Ungeachtet allem, was passiert ist, will ich bleiben und versuchen zu spielen“. Aber sicher ist noch längst nicht, dass Djokovic ab Montag seine Titelverteidigung bei den Australian Open tatsächlich angehen darf.
„Ich habe schreckliche Dinge gesehen“
Dabei hat das Verhalten des Novak Djokovic eine lange Vorgeschichte in der Tennisszene. Sie beginnt im vorletzten Jahrzehnt. Damals, als sich Djokovic im Jahr 2007 mit gerade mal 20 Jahren als Kronprinz hinter Roger Federer und Rafael Nadal etabliert hatte, war sein Auftreten noch erfrischend.
Da kam einer daher mit seinem dunklen, biederen Bürstenhaarschnitt, der so gar nichts mit dem Körperkult-Gehabe seiner Generation zu tun zu haben schien und irgendwie anders war. Auf interessante Art. Hochintelligent, fließend in mehreren Sprachen zuhause und nicht scheu, seine Meinung zu äußern. Ein seltenes Gut in einer Welt mit Standardantworten wie: „Da müssen Sie meinen Trainer fragen“.
Djokovic war von Ehrgeiz angetrieben, hungrig nach Erfolg, weil er den Hunger selbst erlebt hatte. Im Balkankrieg der 1990er Jahre aufgewachsen, mit Entbehrungen und Angst. „Ich habe schreckliche Dinge gesehen. Es war eine schlimme Erfahrung“, sagte er mal, aber viel erzählen wollte er über seine Kriegserlebnisse nicht.
Ihm war immer anzumerken, dass er in seinem Leben schon mehr erlebt hatte, als die oft wohlbehüteten Profis, denen vieles abgenommen wird und die erst spät erwachsen werden. Doch je mehr sich Djokovic zum ärgsten Herausforderer von Federer und Nadal aufschwang, desto mehr veränderte er sich.
Getrieben von der Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe der Fans versuchte es Djokovic zu verkrampft. Mal war er zu verbissen, dann spielte er den Clown mit Parodien seiner Konkurrenten, die das nicht immer lustig fanden. Und während es Federer und Nadal schafften, authentisch und nahbar zu wirken, konnten sich viele nur schwer ein echtes Bild vom „Djoker“ machen. Wie ist er denn nun wirklich?
Seine Art wurde ihm zum Verhängnis
Djokovic begann in Pressekonferenzen nicht mehr zu antworten, sondern zu dozieren. Er belehrte gerne und lebte seine immer extremere glutenfreie Ernährungsphilosophie nicht nur, sondern wollte gleich alle Welt damit missionieren. Es wurde anstrengend mit ihm.
Seine Launen schwankten und obwohl er stets wohltätig unterwegs war, wirkte es meist zu gewollt und weniger selbstlos, als berechnend. Jedes Jahr in Melbourne verteilte der Serbe zu Beginn edle Pralinen an die Journalisten und Journalistinnen. Als ob sich gute Presse so leicht mit etwas erkaufen ließe, das er selbst niemals anrühren würde.
Seine extrem martialische Art auf dem Platz, das ständige Bekreuzigen des orthodox-gläubigen Djokovic ist vielen fremd. Mehr als das Spirituelle aber verstimmten seine nicht immer sportlich-fairen Spielchen die Tennis-Fans. Dass er bald mit seiner 21. Grand-Slam-Trophäe alleiniger Spitzenreiter sein könnte, macht ihn in den Augen vieler deshalb trotzdem nicht zum größten Spieler.
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Für seine Fans ist er ein Heiliger, jedes Wort der Kritik an ihm ein Affront. Djokovic bietet gewollt oder nicht viel Reibungsfläche und manchmal scheint es, dass ihm seine Intelligenz zum Verhängnis wird. Nicht nur, weil das Oberschlaue schnell nervt, sondern er sich mit zu vielen Themenfeldern beschäftigt.
Mit offenem Ohr für Verschwörungstheoretiker und serbischen Nationalisten oder seinem Mentalguru Pepe Imaz und dessen angeblichem Heilwasser. Selbst Boris Becker war das dann zu schräg. Wie die Causa Djokovic „Down Under“ ausgeht, ist offen. Gewinner gibt es in diesem Polit-Drama nicht. Nur eine Wahrheit ist ans Licht gekommen. Auf die Frage des Grenzbeamten „Sind Sie geimpft?“, hat Djokovic geantwortet: „Bin ich nicht.“