Elke Heidenreich zum 80. Geburtstag: Die Begeisternde
Erst Anfang dieser Woche hat Elke Heidenreich wieder eines ihrer Ämter gewaltet und ein Buch in der „Süddeutschen Zeitung“ besprochen, Julia Schochs Liebeszerfallsroman „Das Liebespaar des 20, Jahrhunderts“. Sie kritisierte den Roman nicht, sondern feierte ihn; sie untersuchte nicht die Form und die Sprache, sondern gab ihrer Begeisterung mit einer Vielzahl von Zitaten aus dem Roman Ausdruck. Und damit, dass Schoch für ein „Wir“, für „uns alle“ spreche, im Grunde für sie selbst: „Ich kenne das alles. Ich lese dieses Buch, als hätte ich es selbst geschrieben.“
Vor Elke Heidenreich hat es niemals eine so machtvolle Literaturkritikerin gegeben, auch nicht im 20. Jahrhundert.
Frank Schirrmacher im Jahr 2007
Elke Heidenreich hat sich hier wieder einmal mit ihrer ganzen Person eingebracht, in diese Besprechung, in diesen Roman, von Distanz keine Spur. So kennt man das von ihr, dafür wird sie von großen Teilen des literaturinteressierten Publikums über die Maßen geschätzt. Als Literaturkritikerin hat sie sich nie verstanden, gerade auch nicht in ihrer Zeit als oberste Literaturvermittlerin der Nation mit ihrer ZDF-Sendung „Lesen!“ „Ich mache dort keine Literaturkritik, das ist in der Kürze der Zeit gar nicht möglich, sondern ich gebe Empfehlungen“, sagte sie seinerzeit einmal.
Von 2003 bis 2008 war sie in dieser Sendung Vorleserin, Vorschlägerin und Buchempfehlerin. „Lesen!“ ist erfolgreicher gewesen als Marcel Reich-Ranickis „Literarisches Quartett“, und danach sollte es keine Literatursendung mehr im Fernsehen mit vergleichbaren Quoten und ähnlichem Einfluss auf den Buchmarkt geben. Weder „Das Blaue Sofa“ mit Wolfgang Herles noch die Wiederauflagen des „Literarischen Quartetts“ noch Denis Scheck mit seiner Sendung „Druckfrisch“ vermochten es, Bücher aus dem Off, von denen niemand geahnt hätte, dass sie das Potential dazu haben, zu Bestsellern zu machen, so wie es Heidenreich mit ihrer authentischen Überzeugungskraft gelang.
Mit Else Stratmann begann ihre Karriere
Bis heute versuchen die Öffentlich-Rechtlichen, eine Sendung wie „Lesen!“ wieder an den Start zu bringen. Mit der Folge, dass von einer Literaturkritik in den jeweiligen Sendungen keine Rede mehr sein kann (eine Tendenz übrigens, die sich auch in wichtigen Jurys wie der des Deutschen Buchpreises zunehmend fortsetzt) und vor allem an Literatur interessierte (Fernseh-)Prominente im Fernsehen Bücher empfehlen. „Vor Elke Heidenreich hat es niemals eine so machtvolle Literaturkritikerin gegeben, auch nicht im 20. Jahrhundert.“, hat Frank Schirrmacher seinerzeit gesagt. Dieser Satz gilt heute noch, nur abgewandelt: Nach ihr hat es niemals wieder eine so machtvolle Literaturvermittlerin gegeben.
Allerdings hat Heidenreich immer betont, dass ihr an Macht nichts liege. Zumal sie ja noch diverse andere Ämter bekleidete und noch innehat. Geboren 1943 im nordhessischen Korbach und aufgewachsen in Essen, wurde sie in den Siebzigern als schnodderige Metzgersfrau Else Stratmann bekannt, die sie fürs Radio spielte. Sie arbeitete schon vor „Lesen!“ als Moderatorin von Literatursendungen und Talkshows, sie hat Libretti für die Oper geschrieben, und bevor sie 1992 als Schriftstellerin debütierte, mit dem Erzählband „Kolonien der Liebe“ waren ihre Else-Stratmann-Texte in mehreren Büchern erschienen.
Inzwischen ist sie primär eine überaus erfolgreiche Schriftstellerin, die nahezu Jahr für Jahr eine neue Erzählung oder einen Band mit Erzählungen herausbringt. Und ob sie nun Tiere durchs Schlüsselloch beobachtet („Homestories“), Geschichten über Kleider und Leute schreibt („Männer in Kamelhaarmänteln“) oder wie vergangenes Jahr Geschichten über zu weite Reisen („Ihr glücklichen Augen“) – immer landen diese Bücher weit oben in den Bestsellerlisten.
Die Begeisterung, die Heidenreich glaubwürdig vermittelt, überträgt sich auf ihr Publikum, das sie für ihre Bücher genauso schätzt wie für ihre Buchempfehlungen.. „Es ist alles ständig im Fluss, das finde ich schön. Ich habe nie das Gefühl, irgendwo angekommen zu sein.“
Diesen Satz hat sie kurz vor ihrem 65. Lebensjahr gesagt. Man kann davon ausgehen, dass er heute noch gilt, da sie an diesem Mittwoch ihren 80. Geburtstag feiert.
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