Silvesterkonzert im Tempodrom : Das Deutsche Symphonie-Orchester und Circus Roncalli
Schon auf dem Weg zum Tempodrom machen ohrenzerfetzende Böller und aufsprühende Feuersterne klar: Berlin lässt sich den Schneid nicht abkaufen. Ein trotziges „Jetzt erst recht“ steckt in dieser Explosion von Schönheit und Verschwendung, und jede Menge böse Geister gilt es ja auch noch zu vertreiben.
Auch das Deutsche Symphonie-Orchester will in seinem traditionell mit dem Zirkus Roncalli veranstalteten Silvesterkonzert für Momente „Kummer und Sorgen“ vertreiben. Glücklich ist, wer vergisst. So beschwört die Show die gute alte Zeit. Ein kleines italienisches Dorf ersteht in regenbogenfarbiger Beleuchtung, bunt bemalte Zirkuswagen machen die Runde, begrüßt von Priester und Bürgermeister, Matronen und Dorfschönen.
Die Hochseilartisten sind Don Camillo und Peppone
In diesem Bild entsteht gleich die spektakulärste Nummer: Die Hochseilartisten Freyy Nock & Mica sind Don Camillo und Peppone; die Nähe zu Gott suchen sie, jeder auf seine Weise, mit schwankenden Schritten, trickreich den Absturz vortäuschend. Näher zu Gott, meint Conferencier Oliver Polak als „Zirkusdirektor“, kommt man dann ohne Netz und doppelten Boden natürlich erst recht.
Oder der eine steigt, um den Nervenkitzel zu verstärken, dem anderen todesmutig auf die Schultern. Nicht jede*r kann da hinsehen. Das bestens aufgelegte DSO spielt dazu, unter dem feurigen, süffige Klänge hervorzaubernden Dirigat von John Wilson, den manchmal ins Dämonische hinübergleitende Walzer aus „Maskerade“ von Aram Chatschaturjan.
Musik von Hollywood-Filmen und Broadway-Musicals
Der britische Maestro erweckt seit einem Vierteljahrhundert mit seinem „John Wilson Orchestra“ die Musik älterer Hollywood-Filme und Broadway-Musicals zu neuem Leben; als Musikwissenschaftler und Arrangeur rekonstruierte er so manche verschollen geglaubte Partitur. Er selbst steuert die Filmmusik zu „E.T. – der Außerirdische“ bei, zur kraftvollen Luftakrobatik von Vioris Zoppis, die unter dem Titel „Adventures on Earth“ mit volltönenden Hornklängen eher eine „Odyssee im Weltraum“ illustriert.
Philosophisch geht es weiter: Doch des Zirkusdirektors tiefsinnige Betrachtungen werden immer wieder vom Clownspaar Patelito gestört. Die beiden können alles, Tanzen, Jonglieren, Saxofon spielen und schließlich auch noch mit strahlenden Tenortönen „Granada“ singen. Regelmäßig werden sie rausgeschmissen, regelmäßig protestiert das Publikum – ein hübsches Spiel.
Lustiger noch und auch musikalisch ergiebiger ist Gabor Vosteen mit seiner Blockflöten-Comedy: Wann hörte man je dieses Instrument der Wohnzimmerspießigkeit oder auch der verunglückten Laienmusik so virtuos, sei es mit dem „Csardas“ von Monti oder Mozarts „Kleiner Nachtmusik“? Vielfältige Harmonien lassen sich mit drei, vier durch die Nasenlöcher oder sogar Ohrmuscheln bedienten Flöten erzeugen, die sogar Beethovens „Neunte“ schaffen, und wenn einige Zuhörer*innen mitspielen dürfen, entfalten sich ungeahnte Talente.
Der musikalische Humor setzt sich fort mit der „DSO-Randgruppe“, mit der das Orchester diesmal die solistischen Einlagen selbst besorgt. Elsie Bedleem an der Harfe, die Flötistinnen Upama Muckensturm und Frauke Ross, Tomer Maschkowski mit Bassposaune und Henrik Magnus Schmidt am Schlagzeug zeigen mit dem Pianisten Dirk Wedmann in interessanten Klangkombinationen, wie nahtlos sich Bachs C-Dur-Präludium, Beethovens „Für Elise“ und der Samba-Schlager „Tico-tico no fubà“ verbinden lassen.
Ansonsten geht es poetisch zu: mit dem ukrainischen Duo Adventures, der Tuchakrobatin Marika Ashley Gould und „Zirkusprinzessin“ Lily Paul Roncalli, die, bei aller Eleganz und staunenswertem Können, leider auch ein nicht mehr ganz zeitgemäßes Frauenbild transportieren.
Zur Startseite