„Kaltstart“ (Folge 4) : Eisbär am kalten Polar

Die Frage stellt sich in einer Zeit des Klimawandels: Wie kalt ist es noch am Polar? In der Arktis und der Antarktis, den beiden Polargebieten oben im Norden und unten im Süden der Erdkugel? Die Polkappen jedenfalls schmelzen, was in diesem Ausmaß 1981 nicht abzusehen war. In dem Jahr kam ein Song heraus, der „Eisbär“ heißt und von der Schweizer Band Grauzone stammt.

„Ich möchte ein Eisbär sein/ im kalten Polar“, singt der Grauzone-Mastermind Stephan Eicher, fast schreit er es, zackig und cool, „dann müsste ich nicht mehr schrei’n/Alles wär’ so klar“. Wer den Song kennt, hat ihn sofort im Ohr, so eingängig ist dieser Refrain, so schnell gemahnt er an die Zeit des Kalten Kriegs.

Natürlich steckt in diesen Zeilen vor allem der reine Quatsch. Allein „der kalte Polar“, zumindest damals ein Pleonasmus. Und ein Eisbär sein wollen! Und dann die Auslaufzeile: „Eisbären müssen nie weinen“. Immerhin: Die Sehnsucht, nicht mehr schreien zu müssen und mehr Klarheit haben zu wollen, verweist auf eine Verwirrung der Gefühle, vielleicht auf Trouble mit den auch seinerzeit nicht unkomplizierten Zeitläuften.

Es war im Pop eine Epoche des Umbruchs: Punk hatte den Siebziger-Jahre-Dino-Rock hinweggefegt, den Hippies den Stinkefinger gezeigt, und aus Punk ging in Deutschland die Neue Deutsche Welle hervor. In England wiederum begannen Bands wie Heaven 17, Human League oder Depeche Mode den Pop zu dominieren, allesamt große Kraftwerk-Fans. Ihr Markenzeichen: ein kalter Synthiesound, als Ausdruck existentieller Unbehaustheit.

So sah es auch in den Clubs aus: kalt, leer, gestylt im Gegensatz zu den Wärmestuben der Siebziger. In Braunschweig Leukoplast vs Panopticum, in Göttingen Pink vs Tangente, in Berlin Grex vs Far Out. Über Grauzones „Eisbär“ aber ist die Zeit nicht hinweggegangen: Der apokalyptische Unterton passt gut ins Jahr 2023.

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