Kolumne „Spiegelstrich“: Sag’ zum Abschluss …
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Ändert sich nun also alles? Wenn ein Krieg in Europa eben nicht endet, sondern immer nur noch brutaler wird? Wenn Pandemie und Erderwärmung eine Gesellschaft direkt in eine als Lärm verkleidete Sprachlosigkeit und eine durch Aktionismus überspielte Handlungsunfähigkeit führen?
Wenn uns nicht mal mehr eine Fußball-Weltmeisterschaft trösten kann, weil Deutschland keine Turniermannschaft mehr ist; und wenn auch dies egal ist, weil kaum noch jemand hinsieht? Beides ist dem nicht-demokratischen Teil der Welt übrigens gänzlich gleichgültig: Der braucht Deutschland, braucht Europa nicht mehr, auch das ist vorbei.
Und weiter, vom Großen zum Kleinen, Privaten: Von verstörend vielem dachte ich einst, es werde nie im Leben enden. Nicht mehr so oft, aber manchmal habe ich diesen Gedanken heute noch.
Die Vatertochterliebe, die Vatersohnliebe werden halten, mindestens vier Freundschaften auch, da wir inzwischen wissen, wie kostbar Freundschaften sind; wir lassen sie nicht mehr fahrlässig enden, nicht ohne ein Wort. „Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann. Wer sein Zuhause nicht verlässt, weil er muss, sondern weil er will“, schreibt Saša Stanišić in „Herkunft“. Das Zuhause wird stehen und Zuhause bleiben, New York werde ich wieder und wieder neu entdecken.
Ist das naiv: noch immer an Beständigkeit und Stabilität zu glauben hier und dort? Denn ja, alles verändert sich, und alles wird enden, irgendwann, das wissen wir doch. Könnte es eigentlich sein, dass Sie sich beim Lesen nun fragen: Was für einen Kitschkram schreibt der denn heute? Gleich werden Sie’s verstehen, dreifach.
Ich fliege nämlich gerade, erstens, an meinen Sehnsuchtsort, schreibe dies hier über dem Atlantik, und die Reisegefühle sind wie früher: Nach dem Abschied von Ehefrau und Sohn kam der Aufbruch, sogleich die Freude auf die Stadt und die New York Rangers und Washington Square und The Strand und sieben Tage beim besten Freund, und das gehört zusammen, Abschied und Anfang, das zweite ist selten zu haben ohne das erste.
Wie also geht man, das ist heute mein zweiter Punkt? Wir müssen uns Zeit nehmen für Abschiede, für Trauer. Wir müssen aussprechen, was uns bewegt. Uns, wenn möglich, versöhnen, ehe wir die Tür schließen. Wir sollten denen, die gehen, oder denen, von denen wir fortgehen, das Beste wünschen. „Freudenfreude“, schreibt die „New York Times“, sei ein beliebtes deutsches Wort und meine das Gegenteil von Schadenfreude, meine das Glück, wenn anderen etwas gelingt.
In fünf Jahrzehnten ist mir das Wort Freudenfreude in Deutschland leider noch nicht begegnet, was entweder viel über Deutschland oder viel über die „New York Times“ sagt; für künftige Abschiede nehme ich mir jedenfalls Freudenfreude vor. Immerhin hat Wolfgang Niedecken geschrieben: „Bliev do, wo de bess,/ halt dich irgendwo fess./ un bliev su, wie de woors,/jraaduss.“ (Das letzte Wort ist der Songtitel „Geradeaus“.)
Dies, drittens, ist meine letzte Kolumne, weil es der richtige Moment für einen Abschied ist: Beim MDR und in der ARD beginnen Dinge, die noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Zeit brauchen. Da der Tagesspiegel sich ab Dienstag gleichfalls neu erfindet, um der oben beschriebenen veränderten Welt gerecht zu werden: viel Glück & viel Freude dabei.
Und damit danke ich Ihnen für das Interesse und Rüdiger Schaper, Gerrit Bartels und den verehrten Kolleginnen und Kollegen dieses Feuilletons, die 153 Spiegelstriche liebevoll betreut haben, für das Zusammenspiel, das Woche für Woche Vergnügen und Ehre war.
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