Dokumentarfilm über türkischen Pop: Mit Flamboyanz gegen Ressentiments
Einer der tollsten Archiv-Clips in Cem Kayas an tollen Archiv-Clips reichem Dokumentarfilm „Liebe, D-Mark und Tod – Aşk, Mark ve Ölüm“ ist der Auftritt von Cem Karaca beim Festival des politischen Liedes in Ost-Berlin in den 1980er Jahren. Der 2004 verstorbene Karaca, lange schon in seiner Heimat ein Rockstar, war eine der schillerndsten Figuren, die die deutsch-türkische Popkultur hervorgebracht hat: ein Dandy, ein flamboyanter Crooner, der 1984 das Album „Die Kanaken“ veröffentlichte und mit Textzeilen wie „Komm Türke – trink deutsches Bier/dann bist du auch willkommen hier“ zu elegant wippenden Klängen vermeintlich plakative politische Äußerungen in das verführerische Gewand großer Popmusik kleidete.
Vor der Militärjunta in die BRD geflohen
Dass der 1980 nach Westdeutschland emigrierte Karaca zum Line-up einer FDJ-Prestige-Veranstaltung gehörte, sagt einerseits etwas über den Raum, der Popstars wie ihm in Deutschland zugestanden wurde. Für die DDR dürfte Karaca vor allem vorzeigbar gewesen sein als Verfolgter einer rechten Militärjunta, die nach dem Putsch von 1980 in der Türkei die Macht übernahm. Im Westen wiederum sollte der Künstler nur als Stichwortgeber funktionieren, für die Probleme, die die Bundesrepublik mit „Ausländern“ hatte; einen Umstand, den „Liebe, D-Mark und Tod“ durch einen entschiedenen Schnitt quittiert, als ein Moderator Karaca die dauerblöde Frage nach „Ausländerfeindlichkeit“ stellen will, die er eigentlich an die weiße deutsche Gesellschaft richten müsste.
Andererseits ist der kurze Ausschnitt vom Auftritt vor den Fahnen der DDR ein Beleg dafür, wie tief Cem Kaya für die Arbeit an „Liebe, D-Mark und Tod“ in die Archive gestiegen ist (Das Buch schrieb er mit Mehmet Akif Büyükatalay). Wer sich ein Bild von der marginalisierten Geschichte der Almancı-Popkultur von Metin Türköz bis Haftbefehl machen will, der muss lange suchen.
Der Film ist Cem Kayas dritter Beitrag zu einer Geschichte türkischer Populärkultur. Um die (innertürkische) Migration als Grundlage eines spezifischen Musik-Genres ging es schon in „Arabesk“ von 2010. „Remake, Remix, Rip-off“ widmete sich 2014 dem so emsig wie begeistert produzierenden Yesilçam-Kino, das sich seit den 1960ern die Erzählungen Hollywoods („Zauberer von Oz“, „Rambo“, „Star Wars“) durch günstige Remakes anzueignen pflegte.
In „Liebe, D-Mark und Tod“ wird nun die deutsch-türkische Popmusik von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart verfolgt. Und es ist fulminant, wie mühelos es Kaya gelingt, die erzählerischen Fliehkräfte seines überbordenden Materials in 90 Minuten zu beherrschen. Der Film ist eine Wucht, aber er schwitzt nicht. Mit jedem Interview – mit Yüksel Özkasap, der „Nachtigall von Köln“, oder Cavidan Ünal, der „Diva von Europa“ – ließe sich eine ganze Episode einer zehnteiligen Doku-Serie bestreiten.
Die Dramaturgie orientiert sich an dem titelgebenden Song von Ideal nach einem Aras-Ören-Text. Erzählt wird also von Armut und Außenseitertum der frühen Jahre nach dem Anwerbeabkommen, die in die Abschiebebewegungen der deutschen Politik in der Rezession münden. Im zweiten Schritt geht es über das ökonomische Ankommen in einer Subkultur, die auf verschwenderischen Hochzeitsfeiern ihre innere Unabhängigkeit von weißer deutscher Aufmerksamkeit feiert.
Der dritte Teil handelt von rechter Gewalt, die beginnend in den 1980er Jahren zum Terrorismus von Solingen und Mölln führt. Allein wie Kaya hier von den Tagesschau-Meldungen der angeblichen Einzelfälle zu Bildern von Aufbegehren und Widerstand der Community schaltet, eröffnet ein neues Verständnis für die Ignoranz des weißen Deutschlands nach Anschlägen. Ein Bewusstsein, das erst nach dem Anschlag von Hanau in einer größeren medialen Öffentlichkeit anzukommen scheint.
(In neun Berliner Kinos, OmU)
Doch „Liebe, D-Mark und Tod“ will nicht bloß dem weißen Deutschland gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigen. Kayas Film ist auch die glamouröse Bühne, auf der die Almancı-Popkultur sich selbst begreifen kann: als eine Geschichte, die bisher nicht geschrieben und tradierbar war. Das Los vieler marginalisierter Geschichten, weshalb jeder Musiker und jede Musikerin zumeist davon ausgehen musste, einsam für sich Pionierleistungen zu erbringen.
Imran Ayata, Mit-Herausgeber der „Songs of Gastarbeiter“-Compilations, sagt, dass all die Leute, die zur Ausprägung der deutsch-türkischen Popmusik beigetragen haben, verbunden waren durch die Erfahrung des Rassismus. Was dieser Umstand an musikalischer und lebensweltlicher Kreativität bewirkt hat, lässt sich in „Liebe, D-Mark und Tod“ auf eine euphorische Weise bestaunen – und sei es bei der ausführlichen Erinnerung an den Türkischen Bazars am stillgelegten U-Bahnhof Bülowstraße. Und bei aller Politik funktioniert Kayas Film ganz einfach auch darüber, wie beglückend es ist, Musik machen zu können.
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