„A Night of Knowing Nothing“ auf Mubi: Gespenstische Stille des Widerstands

Junge Menschen tanzen, im Hintergrund wird ein Film auf eine Leinwand projiziert. Die Bilder bleiben stumm. Das leise Voiceover einer Frau, L genannt, verleiht der in grobkörnigem Schwarz-Weiß gefilmten Szene etwas Entrücktes. Mit sehnsuchtsvoller Stimme verliest sie (fiktive) Briefe an einen abwesenden Geliebten, von denen es heißt, sie seien an der staatlichen Film- und Fernsehschule neben Zeitungsausschnitten und anderen Hinterlassenschaften gefunden worden. Die Liebenden können nicht zusammen sein, Ls Lover gehört einer höheren Kaste an.

„A Night of Knowing Nothing“ beginnt im Kleinen, Intimen, bevor der Film mit jeder Bewegung weiter in die gesellschaftliche Realität Indiens vordringt. Ein handgemaltes Banner gegen Ende fasst die versprengten Teile zusammen, die die junge Filmemacherin Payal Kapadia in ihrem hypnotischen Debüt zu einer Collage verdichtet: Love, Peace, Music, Strike, Resistance, People, Cinema, Loneliness.

Im Zuge des Widerstands gegen die Politik der nationalistischen Regierung unter Narendra Modi kam es 2015 am Film and Television Institute of India zu Protesten. Anlass war die Ernennung eines rechtskonservativen Seifenoperndarstellers zum Dekan. Die Regierung beantwortete die Streiks mit Diskriminierung und Gewalt.

Muslime und Dalits, so die Bezeichnung der in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehenden „Unberührbaren“, verloren ihre Stipendien und wurden aus Bibliotheken und Wohnheimen verbannt, Polizisten sollen Frauen mit Vergewaltigungen gedroht haben. In Neu-Delhi stürmten maskierte Männer die Uni und prügelten auf Studierende ein. Der brutale Übergriff ist in den Bildern einer Überwachungskamera zusehen.

Die bewegte Gegenwart Indiens fließt in den Film ein

Kapadia, die zur Zeit der Dreharbeiten an der Filmhochschule studiert hat, verwebt diese Ereignisse bruchstückhaft in die Erzählung – und ohne die tosenden Geräusche und die aufgeheizte Atmosphäre, die den politischen Protest üblicherweise begleiten. Stattdessen durchdringt eine fast gespenstische Stille den Film .

Die von L erzählten Ereignisse auf dem Campus werden neben andere gewaltsame Vorfälle gestellt, die in den gefundenen Zeitungsausrissen dokumentiert sind: eine interkastische Beziehung, die mit einem „Ehrenmord“ endete, Lynchverbrechen, die Ermordung der kritischen Journalistin Gauri Lankesch, der Suizid eines Studenten, der sich für die Rechte der Dalits einsetzte. Auch Donald Trumps mitgeschnittene Aufforderung zum sexuellen Übergriff ist darunter.

(Auf Mubi)

„A Night of Knowing Nothing“, in Cannes mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet, ist ein Wunder von einem Film. Kapadia lässt das politische Kino mit dem poetischen Trancefilm Hand in Hand gehen. Bilder von Festen, Versammlungen und Protesten reihen sich an Szenen aus dem fast menschenleeren Wohnheim.

Ein Gefühl von Einsamkeit liegt über den Bildern, eine Katze streunt einsam umher, auf dem Bildschirm eines Laptops flimmert Godards „Außer Atem“. 16mm-Bilder, Super-8-Aufnahmen aus Familienarchiven, Handyvideos, Aufzeichnungen einer Überwachungskamera und hingekritzelte Zeichnungen lassen ein visuelles Gewebe entstehen. Die grisseligen Bilder wirken auf den ersten Blick nostalgisch–und verbinden sich gerade deshalb zu einem geschichtsübergreifenden Bild jugendlicher Revolten.

„Our old car needs a new coat of paint. Let’s come together to paint it“,steht auf einem Transparent. Bei einer nächtlichen Versammlung auf einem Basketballplatz Wird die in tiefes Schwarzgetauchte Szene nur punktuell von Scheinwerfern erhellt. Grillen zirpen. Das Kino, stets anwesend im Zusammenspiel von Dunkelheit und Licht ist im Kampf für die Freiheit ein Verbündeter.

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