Vom Tischler zum Star
Harrison Ford hat dieses unverschämte Han-Solo-Grinsen achtzig Jahre lang konserviert. Er ist inzwischen zwar seltener Stammgast in den amerikanischen Late-Night-Talks als zur Hochzeit des Fernsehformats in den Achtzigern und Neunzigern, als Ford the most bankable star in Hollywood war. Und wenn er heute Interviews gibt, muss er natürlich vor allem Fragen zu seinen ikonischen Rollen beantworten – zu Han Solo, Indiana Jones, dem Replikantenjäger Rick Deckard aus „Blade Runner“. Harrison Ford scheint ihnen schon aufgrund der Franchise-Manie der US-Branche nicht zu entkommen: „Mister Ford, Laserschwert oder Lederpeitsche?“
Er reagiert auf solche Fanfragen mit gutturalem Grollen, lässt sich dann aber doch zu einer schnippischen Antwort hinreißen. Ford hat Jahre gebraucht, um sich mit der Popularität von Han Solo anzufreunden, im Alter ist er milde geworden. Legendär seine Reaktion, als Regisseur George Lucas ihm Mitte der Siebziger das Skript zu „Krieg der Sterne“ zeigte: „George, du kannst diesen Scheiß vielleicht abtippen, aber du kannst ihn unmöglich aussprechen“.
Auf der Pressetour zu „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ erzählte Ford 2015, dass er Lucas ewig bekniet habe, seine Figur endlich sterben zu lassen. Er bekam schließlich seinen Willen, auch wenn er in „Der Aufstieg Skywalkers“ dann doch noch einen allerletzten Cameo-Auftritt hatte. Irgendwie ist er es der Rolle auch schuldig – und den Fans. Harrison Ford hat es nie darauf angelegt, berühmt zu sein, aber praktisch ist es schon, wenn man seinen Lebensunterhalt nicht als Tischler bestreiten muss.
In den Sechzigern war der 1942 in Chicago geborene Autodidakt fast soweit, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen und sich einem Handwerk zu widmen. Ein Produzent erzählte ihm nach seinem Kinodebüt „Dead Heat on a Merry- Go-Round“ von 1966, in dem er einen Kurzauftritt als Hotelpage hatte, dass er es in Hollywood nicht weit bringen würde. Ford spielte in Western-und Krimiserien, der französische Regisseur Jacques Demy versuchte vergeblich, ihn für die Hauptrolle in seiner US-Premiere „The Model Shop“ zu besetzten. In Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ hat er einen winzigen Auftritt ohne Text.
Fast wäre Ford Tischler geworden
Harrison Ford wollte immer ins Kino, um keinen Preis im Fernsehen enden. Als der Traum zu platzen schien, begann er sich auf seine handwerklichen Talente zu konzentrieren. Dem Latinjazz-Musiker Sérgio Mendes baute er Ende der Sechziger ein professionelles Tonstudio in den Garten. So hätte es weiter gehen können.
Die Begegnung mit dem zwei Jahre jüngeren George Lucas wurde 1973 zum Wendepunkt in Fords Leben. Lucas verschaffte ihm in der hemmungslosen Rock’n’Roll-Nostalgie „American Graffiti“ einen prägnanten Kurzauftritt als Rennfahrer Bob Falfa. So lernte er auch Lucas’ New-Hollywood-Kumpel Francis Ford Coppola kennen, der ihm in „Der Dialog“ und in der Katastrophen-Produktion „Apocalypse Now“ Nebenrollen (als Infanterist George L.) zuschanzte. Als das Vietnamdrama 1979 endlich herauskam, war Harrison Ford bereits ein Star: Der erste „Krieg der Sterne“ hatte Hollywood für immer auf den Kopf gestellt.
Auch dem Kino begegnet Ford stets mit dem Arbeitsethos des Handwerkers, und er meint das voller Stolz. Ob er einen Stuhl fertigt (wozu er in den vergangenen Jahren wieder mehr Zeit hat) oder vor der Kamera steht und sich in seine Rolle vertieft – immer geht für ihn die Funktion über die Form.
Auszeichnungen, erzählte er bereits vor dreißig Jahren der Talk-Queen Oprah Winfrey, haben ihn nie interessiert; die Rollen, die er sich aussucht, seien selten Oscar-Material. Für ihn steht die Geschichte im Mittelpunkt, nicht seine persönlichen Eitelkeiten. Er sei, noch so ein Ford-Bonmot, doch vor allem dazu da, dass die Kinos Popcorn verkaufen. Für den Oscar war er darum nur einmal nominiert: 1985 spielt er in Peter Weirs Thriller „Der einzige Zeuge“ einen Großstadt-Cop, der eine junge Amish- Frau und ihre Tochter vor einem Mörder beschützen muss.
In den Achtzigern war Ford der erfolgreichste Darsteller in Hollywood
Der Film folgte Mitte der Achtziger auf einen sagenhaften Lauf nach drei „Krieg der Sterne“- und zwei „Indiana Jones“-Filmen, die Fords Status als Superstar zementieren. Er hat sich danach immer mal wieder im Charakterfach versucht, am besten vielleicht 1988 in Mike Nichols’ romantischer Screwball-Komödie „Die Waffen der Frauen“, ein verschmitztes Aufbegehren gegen die neuen Rollenverhältnisse am Arbeitsplatz am Ende der neoliberalen Reagan-Jahre.
Trotz Hut, Peitsche und offenem Hemd stand Harrison Ford in den Achtzigern für ein neues Modell von männlicher „Love Interest“, zwischen der Kernigkeit eines Kevin Costner und der Weichheit Richard Geres. „Ich bin wie ein alter Schuh“, hat Ford einmal über sich gesagt. „Ich war niemals angesagt. Darum wurde ich auch nie zum Auslaufmodell.“ Weil Harrison Ford erst spät, mit Mitte dreißig, seinen großen Durchbruch schaffte, konnte er jahrzehntelang alterslos wirken.
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Das größte Missverständnis, das Ford all die Jahre nicht müde wurde auszuräumen, war das Label des Actionstars. Ein Trugschluss, dem auch Donald Trump aufsaß, der im Wahlkampf 2015 Fords Auftritt als zupackender US-Präsident in „Air Force One“ lobte. Ford stellt sich darin allein einer Gruppe von Terroristen entgegen. Man kann heute über das patriotische Pathos milde hinwegsehen, nicht zuletzt, weil mit Wolfgang Petersen ein Deutscher Regie führte.
Aber eben auch, weil Fords James Marshall deutlich hemdsärmeliger daherkommt als reale Vorbilder. Eher ein Familienmensch, der einfach nur Frau und Kinder retten will. Mit dem vergifteten Präsidentenlob konnte der lebenslange Demokrat Ford wenig anfangen, vor zwei Jahren nannte er Trump sogar einen „Hurensohn“.
Heute verlässt Harrison Ford seine Ranch in Wyoming, die er natürlich selbst gebaut hat, nur noch für besondere Anlässe. Seine bislang letzte Hauptrolle spielte er vor zwei Jahren in der Jack-London-Verfilmung „Ruf der Wildnis“, zu der sein angerauter Bariton inzwischen formidabel passt. Ansonsten beschränkt er sich darauf, sein „Vermächtnis“ (noch so ein Wort, dass Ford auf den Tod hasst) zu pflegen. Er reaktivierte in „Blade Runner 2049“ seine beste, weil undurchsichtigste Rolle, wegen der er sich 40 Jahre zuvor fast mit Regisseur Ridley Scott überworfen hätte. Und im kommenden Jahr wird Harrison Ford zum fünften – und voraussichtlich letzten – Mal als Indiana Jones vor der Kamera stehen; erstmals nicht unter der Regie von Steven Spielberg.
Das ist schon deswegen weniger peinlich als bei anderen Hollywood-Reboots, weil er noch nie jemand war, der zu Sentimentalitäten neigt. An diesem Mittwoch feiert Harrison Ford seinen 80. Geburtstag. Aber wenn er sein Grinsen aufsetzt, meint man immer noch den jungen Han Solo vor sich zu sehen.hste Darsteler