Rumstehen und schwarzsehen: Enad Maroufs Tanzperformance „Hundstage“
Es ist noch ein Weilchen hin bis zu den Hundstagen. Die Hitzeperiode beginnt erst am 3. Juli. In den Sophiensaelen feierte nun aber schon die gleichnamige Tanzperformance Premiere. Der syrisch-deutsche Choreograf Enad Marouf bezieht sich auf den Ursprung des Begriffs in der Antike. In Griechenland und in Rom galt das Aufgehen des Sirius, des hellsten Stern im Sternbild Großer Hund, als besonderes Ereignis. Die Hundstage waren gefürchtet als eine Zeit der Hitze, der Dürre und des Aufruhrs.
Für die Performance wurde eine besondere Raumsituation geschaffen: Die Zuschauer sitzen an allen vier Seiten des Festsaals, die fünf Performer agieren in der Mitte. Zu Beginn dumpfe Trommelschläge. Ziellos wandern die fünf Tänzer durch den Raum, richten ihren Blick schon mal ins Publikum und schließen dann die Augen, als würden sie ihren Erinnerungen nachhängen.
Manchmal verdrehen die Tänzer ihren Leib oder kippen zur Seite, aber meistens stehen sie ausdruckslos rum und halten Abstand voneinander. Stillstand und Erschöpfung – diese Zustände sollen die Perfomer wohl veranschaulichen. Doch der Tanz bleibt im Ungefähren. Die Aktionen verdichten sich nicht zu einem Stimmungsbild, das an heutige Gefühlslagen anknüpft.
Immerhin bietet der Abend optische Reize. Die Tänzer tragen extravagante schwarze Outfits zu Stiefeln und robusten Schuhen. Besonders stylish sind die beiden Männer, Jao Moon und Samuel Pereira tragen Schnürmieder, silberne Ohrringen und Ketten. Ein ähnlicher Look findet sich auch beim internationalen queeren Szenepublikum, das sich hier versammelt hat.
Aus queerer Perspektive
Der Performance- und Videokünstler Enad Marouf ist einer der interessantesten Protagonisten der Berliner Tanzszene – und gerade sehr angesagt. Im März wurde er mit dem Will-Grohmann-Preis der Akademie der Künste ausgezeichnet. Aus einer queeren Perspektive erzählt er in seinen Arbeiten von Erinnerung und Verlust – dem Verlust bekannter Orte, aber auch dem Verlust von Sprache und Bedeutung.
In „Hundstage“ werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine düstere Grundstimmung zu erzeugen. Die Musik ist ein wuchtiger Mix aus Elektronk,Chorgesang und Drumsounds.
Das Duett von Ewa Dziarnowska und Shade Théret variiert kleinen Schrittfolgen, bis es ins Pseudo-Expressive driftet. Théret schlägt die Hände gegen den Unterleib und krümmt sich. Dziarnowska, die schwarze Stiefel zum Minirock trägt, ballt die Faust, knallt den Absatz auf den Boden und schaut herausfordernd ins Publikum. Vor allem die Frauen streichen sich immer wieder versonnen übers Haar. Wiederholt tappen die Tänzer in solche Klischees.
Das dynamische Duett von Samuel Pereira und Joao Moon kombiniert Laufen und Hüpfen mit herausgeschleuderten Armen. Doch die Bewegungen wirken meist beliebig.
Dass die Tänzer von dunklen Vorahnungen verfolgt, von einer inneren Unruhe getrieben werden, lässt sich beim besten Willen nicht erkennen. Die Szenen werden in die Länge gezogen, ohne dass sich etwas entwickelt. Angesichts einer ungewissen Zukunft suchen die Tänzer nicht ihr Heil in einer Gemeinschaft.
Bewusste Vereinzelung
Zwar sieht man immer wieder, wie zwei Frauen oder zwei Männer sich aneinander lehnen. Doch Intimität wird hier nicht erzeugt. Schnell driften die Performer wieder auseinander. Die Vereinzelung ist eine bewusste Setzung des Choreografen, findet aber keinen zwingenden Ausdruck.
Wenn die Tänzer schwarz sehen, ist das meist nur Pose. Gegen Ende bilden sie eine Kette und ziehen in einer Lichtschneise am Publikum vorbei. Wenn sich der Saal verdunkelt, stehen sie vor einem Rundfenster, durch das helles Licht fällt. Hoffnung keimt hier nicht in der Gruppe auf, deshalb richtet sich der Blick in eine unerreichbare Ferne.
Weitere Vorstellungen 14./15.6., 20 Uhr und 16.6., 18 Uhr in den Sophiensaelen